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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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grinste. »In den letzten beiden Tagen ist viel passiert.«
    Bredon kicherte in sich hinein und sah noch mehr wie eine Eule aus. »Das will ich meinen.« Er hielt den silbernen Ring empor. »Das besagt schon sehr viel. Aber das …« Er zeigte auf den weißen Ring. »Das ist natürlich noch etwas ganz anderes …«
    Ich setzte mich ihm gegenüber. »Ich will ganz ehrlich zu Euch sein«, sagte ich. »Ich kann nur raten, woraus er besteht und was er bedeutet.«
    Bredon hob die Augenbrauen. »Du bist bemerkenswert offen.«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Ich fühle mich in meiner Position ein wenig gestärkt«, gestand ich. »Deshalb brauche ich gegenüber Menschen, die mir freundlich begegnen, weniger vorsichtig zu sein.«
    Bredon kicherte wieder und legte den silbernen Ring auf das Spielbrett. »Gestärkt«, wiederholte er. »Das bist du in der Tat.« Er nahm den weißen Ring. »Dass du diesen Ring nicht kennst, überrascht mich nicht.«
    »Ich dachte, es gebe nur drei Arten von Ringen.«
    »Das stimmt auch in den meisten Fällen«, sagte Bredon. »Aber der Ringtausch ist ein sehr alter Brauch. Er war im einfachen Volk schon lange verbreitet, bevor er zum Zeitvertreib des Adels wurde. Und Stapes mag zwar unter Höflingen verkehren, aber er entstammt unbestreitbar einer einfachen Familie.«
    Er legte den weißen Ring wieder auf den Tisch. »Solche Ringe werden aus Materialien gefertigt, die dem einfachen Volk zur Verfügung stehen. Ein junger Galan etwa schenkt dem Mädchen, das er freit, einen Ring aus frischem, grünem Gras. Mit einem Ring aus Leder bietet man seine Dienste an und so weiter.«
    »Und ein Ring aus Horn?«
    »Bedeutet Feindschaft. Unversöhnliche, ewige Feindschaft.«
    »Aha«, sagte ich verblüfft. »So ist das also.«
    Bredon lächelte und hielt den weißen Ring ins Licht. »Aber das ist nicht Horn. Das Material hat eine andere Beschaffenheit. Außerdem würde Stapes nie einen Ring aus Horn zusammen mit einem Ring |629| aus Silber verschenken.« Bredon schüttelte den Kopf. »Nein, dieser Ring besteht, wenn ich nicht irre, aus Knochen.« Er gab ihn mir.
    »Na schön«, sagte ich ein wenig enttäuscht und drehte den Ring mit den Fingern hin und her. »Und Knochen bedeutet was? Dass Stapes mich erdolchen oder in einen trockenen Brunnenschacht stürzen will?«
    Bredon sah mich wieder mit seinem einnehmenden Lächeln an. »Ein beinerner Ring steht für tiefe, ewige Schuld.«
    »Aha.« Ich rieb ihn zwischen den Fingern. »Es ist mir natürlich recht, wenn mir jemand einen Gefallen schuldet.«
    »Nicht nur einen Gefallen. Ein solcher Ring wird der Tradition zufolge aus dem Knochen eines verstorbenen Familienahnen geschnitten.« Bredon hob die Augenbrauen. »Ich glaube zwar nicht, dass das auch heute noch so ist, aber es macht die Bedeutung des Ringes klar.«
    Ich sah ihn an, immer noch ein wenig verwirrt. »Und die wäre?«
    »Dass ein solcher Ring nicht leichtfertig verschenkt wird. Er gehört nicht zu dem Spiel, das die Adligen mit den Ringen spielen, und man sollte ihn auch nicht ausstellen. An deiner Stelle würde ihn an einem sicheren Ort aufbewahren.«
    Ich steckte den Ring sorgfältig ein. »Ihr habt mir sehr geholfen, und ich wünschte, ich könnte Euch den Gefallen irgendwie …«
    Bredon bedeutete mir mit erhobener Hand zu schweigen. Dann zeigte er mit einem Finger ganz langsam und ernst nach unten, ballte die Faust und klopfte mit dem Knöchel auf das Spielbrett.
    Ich lächelte und holte die Steine aus dem Beutel.

    »Ich glaube, ich beherrsche das Spiel allmählich«, sagte ich eine Stunde später, nachdem ich denkbar knapp verloren hatte.
    Bredon schob seinen Stuhl mit einer ungeduldigen Bewegung vom Tisch zurück. »Nein«, erwiderte er, »ganz im Gegenteil. Du kennst zwar die Regeln, hast aber noch überhaupt nicht begriffen, worum es eigentlich geht.«
    Ich sortierte die Steine. »Ihr fürchtet nur, ich könnte Euch demnächst schlagen.«
    |630| »Nein, keineswegs. Tak ist ein sehr komplexes Spiel. Deshalb ist es ja auch so schwer, Mitspieler zu finden, die es beherrschen. Im Moment strampelst du noch wie ein blutiger Anfänger. In gewisser Hinsicht spielst du sogar schlechter als vor zwei Tagen.«
    »Gebt es zu«, sagte ich, »ich hätte Euch beim letzten Mal fast geschlagen.«
    Er sah mich nur finster an und zeigte mit herrischer Geste auf den Tisch.
    Ich stürzte mich mit Feuereifer auf die Partie und lächelte und summte, überzeugt, dass ich Bredon diesmal endlich besiegen

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