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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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das nicht konnte. Sie schwebte durch die Stadt wie eine Fee. Sie ging auf Wegen, die außer ihr niemand sah, und das machte ihre Musik kraftvoll, urwüchsig und frei.

    Insgesamt brauchte es dreiundzwanzig Briefe, sechs Lieder und, so sehr ich mich schäme, es zu sagen, ein Gedicht.
    Natürlich war das keineswegs alles. Mit Briefen allein kann man das Herz einer Frau nicht gewinnen. Auch Alveron hatte seinen Teil dazu beigetragen. Und nachdem er sich als Meluans anonymer Freier offenbart hatte, tat er den Löwenanteil der Arbeit und gewann sie nach und nach mit der tiefempfundenen Verehrung, die er für sie hegte.
    Doch meine Briefe weckten ihre Neugier, und meine Lieder brachten sie Alveron so nahe, dass er sie mit freundlichen Worten und seinem Charme vollends für sich einnehmen konnte.
    Allerdings waren die Briefe und Lieder nur zu einem kleinen Teil mein Verdienst. Und was das Gedicht angeht, hatte mich nur eine Sache auf der Welt zu einer solchen Tollheit bewegen können.

|658| Kapitel 70
Arm in Arm
    I ch war mit Denna vor ihrer Unterkunft in der Schreibergasse verabredet, der kleinen Herberge ZU DEN VIER KERZEN. Als ich um die Ecke bog und sie im Schein der über der Haustür hängenden Laterne stehen sah, erfüllte mich Freude darüber, sie so einfach finden zu können, wenn ich sie suchte.
    »Ich habe deine Nachricht bekommen«, sagte ich. »Du kannst dir denken, wie ich mich gefreut habe.«
    Denna lächelte und bedankte sich mit einer Handbewegung. Sie trug einen Rock, nicht von der aufwendigen Art adliger Frauen, sondern aus einfachem Stoff, wie Bäuerinnen ihn etwa beim Heuen oder Tanzen tragen. »Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest«, antwortete sie. »Schließlich schlafen die meisten anständigen Bürger um diese Zeit schon.«
    »Ich muss gestehen, ich war überrascht. Wenn ich ein neugieriger Mensch wäre, würde ich mich fragen, was dich bis zu dieser unschicklichen Stunde beschäftigt hat.«
    »Geschäfte«, antwortete Denna mit einem dramatischen Seufzer. »Ein Treffen mit meinem Schirmherrn.«
    »Er ist wieder in der Stadt?«
    Sie nickte.
    »Und er wollte dich um Mitternacht sprechen? Das ist … merkwürdig.«
    Denna trat unter dem Wirtshausschild hervor, und wir gingen nebeneinander die Straße entlang. »Wer das Geld hat, hat das Sagen«, bemerkte sie mit einem hilflosen Achselzucken. »Lord Esche bevorzugt ungewöhnliche Zeiten und Orte. Ich habe ein wenig den Verdacht, |659| dass er einfach nur einsam ist und es ihn langweilt, ein gewöhnlicher Schirmherr zu sein. Vielleicht verursacht es ihm einen Nervenkitzel, so zu tun, als sei er in finstere Machenschaften verwickelt, statt einfach nur einige Lieder bei mir in Auftrag zu geben.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    »Bloß die Zeit in deiner angenehmen Gesellschaft verbringen.« Sie hakte sich bei mir unter.
    »In diesem Fall muss ich dir etwas zeigen. Es ist eine Überraschung. Vertrau mir.«
    »Ich habe dieses Wort schon ein Dutzend Mal gehört.« Dennas dunkle Augen glitzerten schelmisch. »Aber nie alle auf einmal und nie von dir.« Sie lächelte. »Aber ich vertraue dir und spare mir meinen Überdruss und Spott für später. Bring mich, wohin du willst.«
    Wir fuhren also mit dem Pferdelift zur Oberstadt hinauf und starrten dabei andächtig auf die Lichter der nächtlichen Stadt hinunter wie die einfachen Menschen aus der Provinz, die wir ja auch waren. Droben machte ich mit Denna einen langen Spaziergang durch die gepflasterten Gassen, vorbei an Läden und kleinen Gärten. Wir ließen die letzten Häuser hinter uns, stiegen über einen niedrigen Zaun und näherten uns den dunklen Umrissen eines leeren Stalls.
    Denna konnte nun nicht länger an sich halten. »Du hast es tatsächlich geschafft«, sagte sie. »Du hast mich überrascht.«
    Ich grinste und ging in den dunklen Stall voraus. Drinnen roch es nach Heu und abwesenden Tieren. Ich führte Denna zu einer Leiter, die im Dunkel über unseren Köpfen verschwand.
    »Ein Heuboden?«, fragte Denna ungläubig. Sie blieb stehen und sah mich verwirrt und zugleich neugierig an. »Du verwechselt mich offenbar mit einem vierzehnjährigen Bauernmädchen namens …« Sie bewegte stumm die Lippen. »Mit einem ländlichen Namen.«
    »Greta«, schlug ich vor.
    Sie nickte. »Du verwechselst mich offenbar mit einem freizügig gekleideten Bauernmädchen namens Greta.«
    »Sei versichert, wenn ich dich verführen wollte, würde ich es anders anstellen.«
    »Wirklich?« Sie fuhr sich mit

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