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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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der Hand durchs Haar, begann abwesend |660| einen Zopf zu flechten, brach ab und strich die Haare wieder glatt. »Was tun wir dann hier?«
    »Du hast gesagt, dass dir Gärten so gut gefallen. Der von Alveron ist besonders schön. Ich dachte mir, du siehst ihn dir bestimmt gerne an.«
    »Mitten in der Nacht?«
    »Auf einem bezaubernden Mondscheinspaziergang«, erwiderte ich.
    »Aber der Mond scheint heute gar nicht«, entgegnete Denna. »Oder er ist höchstens eine ganz schmale Sichel.«
    »Egal.« Ich ließ mich nicht entmutigen. »Wie viel Mondlicht braucht man, um den süßen Duft blühenden Jasmins zu genießen?«
    »Auf einem Heuboden?« Dennas Stimme verriet, dass sie mir immer noch nicht glaubte.
    »Vom Heuboden kommt man am leichtesten auf das Dach und von dort in die Burg des Maer und in den Garten.«
    »Wenn du in Diensten des Maer stehst«, sagte Denna, »warum gehst du nicht einfach durch das Tor?«
    »Ah«, seufzte ich dramatisch und hielt einen Finger hoch, »aber genau darin besteht doch das Abenteuer. Durch das Tor kann dich jeder beliebige Mensch in den Garten des Maer bringen. Heimlich kann es nur einer.« Ich lächelte sie an. »Ich biete dir eine einmalige Gelegenheit, Denna.«
    Sie grinste zurück. »Wie gut du meine geheimsten Wünsche kennst.«
    Ich reichte ihr die Hand, als wollte ich ihr in einen Wagen helfen. »Gnädigste.«
    Denna nahm die Hand, stellte den Fuß auf die unterste Sprosse der Leiter und blieb stehen. »Halt, du bist gar kein Kavalier. Du willst mir nur unter den Rock schauen.«
    Ich sah sie tief gekränkt an und legte die Hand auf die Brust. »Verehrteste, ich versichere Euch als Ehrenmann …«
    Sie schlug nach mir. »Von wegen. Du bist ein Dieb und willst einen Blick auf etwas Verbotenes erhaschen.« Sie trat einen Schritt zurück und legte wie ich die Hand an die Brust. »Gnädiger Herr …«
    Dann endlich stiegen wir über den Heuboden auf das Dach und |661| von dort in den Garten. Die Mondsichel über uns war hauchdünn und schien so schwach, dass das Licht der Sterne daneben nicht verblasste.
    Im Garten war es für eine so laue, schöne Nacht überraschend ruhig. Sonst spazierten auch noch um diese späte Stunde Paare die Wege entlang oder saßen auf einer Bank in einer Laube und unterhielten sich flüsternd. Ich überlegte unwillkürlich, ob ein Ball oder eine andere Veranstaltung bei Hof sie fernhielt.
    Der Garten des Maer war sehr groß, und die geschwungenen Wege und geschickt platzierten Hecken ließen ihn noch größer erscheinen. Wir gingen nebeneinander und lauschten auf das Seufzen des Windes in den Blättern. Mir war, als seien wir die einzigen Menschen auf der Welt.
    »Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst«, sagte ich leise, um die Stille nicht zu stören. »Wir haben vor einiger Zeit über Blumen gesprochen.«
    »Ich erinnere mich«, antwortete Denna genauso leise.
    »Du sagtest, Männer, die um Frauen werben, hätten ihre Ideen deiner Meinung nach alle aus demselben Buch.«
    Denna lachte leise, es war mehr eine Bewegung als ein Laut. Sie hob die Hand an den Mund. »Oh, das hatte ich ganz vergessen. Habe ich das tatsächlich gesagt?«
    Ich nickte. »Du meintest, sie brächten dir immer Rosen.«
    »Das tun sie bis heute. Ich wünschte, sie hätten ein anderes Buch.«
    »Ich sollte mir eine Blume überlegen, die besser zu dir passt.«
    Denna blickte mit einem verlegenen Lächeln zu mir auf. »Ja, ich weiß, ich wollte dich auf die Probe stellen.« Sie runzelte die Stirn. »Aber du hast dich revanchiert, indem du eine Blume nanntest, die ich nicht einmal dem Namen nach kannte.«
    Wir bogen um eine Ecke und näherten uns dem dunkelgrünen Laubengang. »Ich weiß nicht, ob du sie inzwischen kennengelernt hast«, sagte ich. »Hier sind sie jedenfalls, die Selasblüten, mit denen ich dich verglichen habe.«
    Nur die Sterne leuchteten uns den Weg. Der Mond war kaum noch zu bemerken. Der Laubengang war so dunkel wie Dennas Haar.
    |662| Mit weit geöffneten Augen suchten wir das Dunkel zu durchdringen. Dort, wo das Licht der Sterne durch die Blätter fiel, waren in der Nacht Hunderte von Selasblüten aufgegangen. Wäre ihr Duft nicht so zart gewesen, er hätte uns überwältigt.
    Denna seufzte tief und sah sich mit großen Augen um. Ihre Haut leuchtete unter den Blättern heller als der Mond. Sie streckte die Hände nach beiden Seiten aus. »Wie weich die Blüten sich anfühlen!«
    Stumm gingen wir weiter. Neben und über uns schlangen die Selasranken sich um

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