Die Furcht des Weisen / Band 1
die Pfosten und Drähte des Gitters und beschatteten die Blüten vor dem nächtlichen Himmel. Als wir schließlich am anderen Ende wieder ins Freie traten, kam uns der Garten taghell vor.
Das Schweigen dauerte an, und mir wurde unbehaglich. »Jetzt kennst du also deine Blume«, sagte ich. »Ich fand es so schade, dass du nie eine gesehen hattest. Wie ich höre, sind sie sehr schwer zu ziehen.«
»Dann passen sie ja vielleicht tatsächlich zu mir«, sagte Denna leise und sah zu Boden. »Ich fasse auch nicht so leicht Wurzeln.«
Wir gingen weiter und gelangten an eine Biegung des Weges. Der Laubengang verschwand hinter uns.
»Du behandelst mich besser, als ich es verdiene«, sagte Denna schließlich.
Ich musste lachen, so lächerlich fand ich ihre Bemerkung. Nur aus Achtung vor der Stille des Gartens beherrschte ich mich und lachte nicht laut. Dabei kam ich aus dem Gleichgewicht und stolperte.
Denna sah mich von der Seite an und begann zu lächeln.
Endlich hatte ich die Fassung wieder gewonnen. »Du hast an dem Abend, an dem ich die silberne Panflöte gewann, mit mir gesungen. Das war das schönste Geschenk, das ich je bekommen habe.« Mir fiel noch etwas ein. »Wusstest du eigentlich, dass dein Lautenkasten mir das Leben gerettet hat?«
Dennas Lächeln nahm zu wie eine aufgehende Blüte. »Wirklich?«
»Ja. Ich kann nie hoffen, dich so gut zu behandeln, wie du es verdienst. Angesichts der Schuld, in der ich bei dir stehe, sind diese Blumen nur ein ganz kleiner Anfang.«
»Aber ein sehr schöner.« Denna blickte zum Himmel auf und atmete lange und tief ein. »Die mondlosen Nächte haben mir immer |663| am besten gefallen. Im Dunkeln sagt sich manches leichter, und es fällt einem leichter, man selbst zu sein.«
Sie setzte sich wieder in Bewegung, und ich ging neben ihr her. Wir kamen an einem Brunnen vorbei, einem Teich und einer mit duftendem Jasmin bewachsenen Mauer. Über eine kleine steinerne Brücke kehrten wir in den Schutz der Hecken zurück.
»Du könntest eigentlich den Arm um mich legen«, sagte Denna sachlich. »Wir gehen in einem Garten spazieren und sind allein. Außerdem scheint der Mond, wenn auch nur ganz schwach.« Sie warf mir einen Blick zu. Ihre Mundwinkel zeigten nach oben. »Da ist so etwas durchaus erlaubt.«
Ihr plötzlicher Sinneswandel traf mich unvorbereitet. Ich hatte ihr seit unserer Begegnung in Severen auf eine schwärmerisch hoffnungslose Art den Hof gemacht, und sie hatte sich mit gleicher Münze revanchiert. Jede Schmeichelei, jede geistreiche Bemerkung und jede Neckerei hatte sie erwidert – nicht als bloßes Echo, sondern in schönster Harmonie, wie in einem Duett.
Doch dies war anders. Sie klang weniger spielerisch und dafür offener. Der Wandel kam so plötzlich, dass es mir die Sprache verschlug.
»Vor vier Tagen habe ich mir an einer losen Steinplatte den Fuß angestoßen«, sagte sie leise. »Erinnerst du dich? Wir gingen die Münzgasse entlang. Ich stolperte, und du hattest mich schon aufgefangen, ehe ich noch wusste, wie mir geschah. Ich habe mich gefragt, wie genau du mich wohl beobachtest, wenn du so schnell reagierst.«
Wir bogen um eine Ecke. Denna sprach weiter, ohne mich anzusehen. Sie klang in sich gekehrt und nachdenklich, fast als redete sie mit sich selbst. »Du hast mich sicher mit den Händen gehalten und aufgerichtet. Du hattest schon fast die Arme um mich gelegt. Es wäre so leicht gewesen, mich zu umarmen, eine Frage von wenigen Zentimetern. Doch als ich wieder stand, hast du mich losgelassen. Ohne das geringste Zögern, das ich dir hätte übel nehmen können.«
Sie hob den Kopf, hielt inne und senkte den Blick wieder. »Es ist bemerkenswert«, fuhr sie fort. »So viele Männer wollen mich mit sich fortreißen. Du dagegen willst das Gegenteil. Du sorgst dafür, dass ich nicht den Boden unter den Füßen verliere und stürze.«
|664| Fast schüchtern nahm sie meinen Arm. »Wenn ich deinen Arm nehme, lässt du es ruhig geschehen. Du legst sogar wie schützend die Hand auf meine Hand.« Sie sagte das im selben Moment, in dem ich tatsächlich meine Hand auf ihre legte, und ich musste an mich halten, sie nicht erschrocken wieder zurückzuziehen. »Aber nicht mehr. Du nimmst dir keine Freiheiten heraus, du bedrängst mich nie. Weißt du, wie seltsam mir das vorkommt?«
Wir blieben stehen und sahen einander an. Um uns war nur der stille Garten unter der Mondsichel. Denna stand dicht vor mir und hatte die Hand auf meinen Arm gelegt. Ich spürte ihre
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