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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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nicht, weil es anders ist als die, die du kennst.« Sie griff wütend nach dem Harfenkasten. »Du bist genauso wie alle anderen.«
    »Ich will dir nur helfen!«
    »Du willst nur über mich bestimmen«, erwiderte Denna barsch und legte die Harfe in den Kasten. »Du willst mich kaufen und mein Leben in die Hand nehmen. Du willst mich wie ein Schoßtier halten, wie einen Hund.«
    »Ich würde dich nie mit einem Hund vergleichen«, sagte ich mit einem wütenden Lachen. »Ein Hund kann zuhören. Ein Hund beißt nicht die Hand, die ihm helfen will.«
    Ab da ging es mit unserem Gespräch nur noch bergab.

    |699| An dieser Stelle meiner Geschichte angelangt, bin ich versucht zu lügen und zu behaupten, ich hätte meine Beschimpfungen in unbeherrschter Wut vorgebracht, besinnungslos vor Kummer über das Schicksal meiner Eltern. Oder ich hätte wieder den Geschmack von Pflaume und Muskatnuss im Mund gehabt. Wenigstens wäre das eine Entschuldigung gewesen …
    Doch es bleiben meine Worte. Ich war es, der all diese Dinge gesagt hat, niemand sonst.
    Denna antwortete in gleicher Art gekränkt, wütend und scharfzüngig. Wir waren beide stolz und zornig und erfüllt von der unerschütterlichen Gewissheit, wie sie Jugendlichen zu eigen ist. Wir sagten Dinge, die wir unter anderen Umständen nie gesagt hätten. Wir kehrten nicht zusammen in die Stadt zurück.
    Mein Zorn kochte heiß wie geschmolzenes Eisen in mir. Er brannte auch noch auf dem Rückweg nach Severen und auf dem Weg durch die Stadt und zum Lift. Er schwelte, als ich die Burg des Maer betrat, in mein Zimmer eilte und die Tür hinter mir zuschlug.
    Erst Stunden später war er so weit abgekühlt, dass ich meine Worte bereuen konnte. Ich überlegte, was ich stattdessen zu Denna hätte sagen sollen, ob ich ihr von den Chandrian erzählen sollte und davon, wie meine Eltern ums Leben gekommen waren.
    Ich beschloss, ihr einen Brief zu schreiben. Darin wollte ich alles erklären, auch wenn es noch so aberwitzig und unglaublich klang. Ich holte also Feder und Tinte und legte ein schönes weißes Blatt Papier vor mich auf den Schreibtisch.
    Ich tauchte die Feder ein und überlegte, wo ich anfangen sollte.
    Meine Eltern waren ermordet worden, als ich elf Jahre alt war. Dieses Ereignis war so einschneidend und furchtbar gewesen, dass es mich fast um den Verstand gebracht hätte. In den Jahren seither hatte ich mit niemandem darüber gesprochen. Nicht einmal einem leeren Zimmer hatte ich mich anvertraut. Ich hatte mein Geheimnis so lange Zeit so fest in mir verschlossen, dass es mir, als ich wieder daran zu denken wagte, so schwer in der Brust lag, dass ich kaum Luft bekam.
    Ich tauchte die Feder ein, aber kein einziges Wort wollte sich einstellen. Ich öffnete eine Flasche Wein, um meine Verkrampfung |700| zu lösen und einen Ansatzpunkt zu finden, von dem aus ich das Geheimnis aufrollen konnte. Ich trank, bis das Zimmer sich um mich drehte und die Spitze der Feder mit einer Kruste aus eingetrockneter Tinte überzogen war.
    Stunden später starrte das leere Blatt mich immer noch an. Aus Wut und Verzweiflung schlug ich so heftig mit der Faust auf den Tisch, dass meine Hand blutete. Eine so schwere Last kann ein Geheimnis werden: dass eher Blut als Tinte fließt.

|701| Kapitel 74
Gerüchte
    A ls ich am Tag nach meinem Streit mit Denna spätnachmittags aufwachte, war mir wegen all dem ganz elend zumute. Ich aß und badete, aber der Stolz hielt mich davon ab, in der Stadt nach Denna zu suchen. Ich schickte Bredon einen Ring, aber der Bote kehrte mit der Nachricht zurück, Bredon sei noch immer verreist.
    Also öffnete ich erneut eine Flasche Wein und blätterte durch den Stapel Geschichten, die sich auf meinem Schreibtisch nach und nach angesammelt hatten. Dabei handelte es sich überwiegend um skandalträchtigen Klatsch, doch gerade der gehässige Ton der Geschichten passte zu meiner Stimmung und lenkte mich von meinem eigenen Elend ab.
    Auf diese Weise erfuhr ich, dass der letzte Comte Banbridge nicht an Schwindsucht gestorben war, sondern an der Syphilis, die er sich bei einem amourösen Abenteuer mit einem Stallburschen zugezogen hatte. Lord Veston war Denner-Harz-süchtig und bezahlte seine Sucht von dem Geld, das eigentlich für die Instandhaltung der Straße des Königs gedacht war.
    Baron Jakis hatte, als seine jüngste Tochter in einem Bordell aufgriffen worden war, durch Bestechung verschiedener Beamter einen Skandal verhindert. Von dieser Geschichte gab es zwei Versionen:

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