Die Furcht des Weisen / Band 1
ansonsten vollkommen bewegungslos lauschte.
»Felurian, dem Tod der Männer«, wiederholte er jetzt. »Ist sie …« Er brach ab. »Ist sie eine
sentin?«
Er hob die Hände, machte eine Bewegung, als wollte er damit zupacken, und sah uns fragend an. Als er merkte, dass wir ihn nicht verstanden, berührte er sein Schwert, das neben ihm lag.
Jetzt meinte ich ihn zu verstehen. »Nein«, sagte ich. »Sie ist keine Adem.«
Tempi schüttelte den Kopf und zeigte auf Martens Bogen.
Ich schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein, sie kämpft nicht. Sie …« Ich verstummte. Wie sollte ich ihm mit Zeichensprache erklären, auf welche Weise Felurian die Männer tötete? Hilfesuchend sah ich Dedan an.
Dedan zeigte keine Hemmungen. »Sex«, sagte er sofort. »Weißt du, was das ist?«
Tempi sah ihn überrascht an, dann legte er den Kopf zurück und lachte. Dedan schien nicht zu wissen, ob er gekränkt sein sollte oder nicht. Tempi beruhigte sich wieder. »Ja«, sagte er einfach. »Ja, ich weiß.«
Dedan lächelte. »Damit tötet sie die Männer.«
Tempi schien einen Augenblick vollkommen verwirrt, dann breitete sich langsam Entsetzen auf seinem Gesicht aus oder eigentlich eher Abscheu und Ekel, der angesichts seiner sonst so reglosen Miene umso schlimmer wirkte. Er öffnete und schloss die Hand und |761| vollführte einige fremdartige Gesten. »Wie?« Er würgte das Wort förmlich heraus.
Dedan wollte antworten und hielt inne. Dann setzte er zu einer Handbewegung an, hielt aber wieder inne und sah verlegen Hespe an.
Hespe kicherte heiser und wandte sich an Tempi. Sie überlegte kurz und tat dann, als halte sie jemanden im Arm und küsse ihn. Dann begann sie sich im Rhythmus eines schlagenden Herzens an die Brust zu klopfen. Sie klopfte immer schneller, brach plötzlich ab, ballte die Hand zu Faust und riss die Augen auf. Dann erstarrte sie am ganzen Körper, erschlaffte wieder und ließ den Kopf zur Seite fallen.
Dedan lachte und klatschte Beifall. »Genau so. Aber manchmal …« Er klopfte sich an die Schläfe, schnippte mit den Fingern, verdrehte die Augen und streckte die Zunge heraus. »Wahnsinn.«
Tempi entspannte sich wieder. »Aha«, sagte er sichtlich erleichtert. »Ja. Gut.«
Dedan nickte und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Also, Felurian ist die geheime Sehnsucht aller Männer und eine sagenhafte Schönheit.« Um Tempi zu verdeutlichen, was er meinte, tat er, als bürste er sich lange Haare aus.
»Vor zwanzig Jahren gingen der Vater und der Onkel des Jungen, von dem ich die Geschichte habe, bei Sonnenuntergang in diesem Wald jagen. Sie blieben länger, als ratsam war, und beschlossen dann, auf dem Rückweg eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen, statt wie vernünftige Leute die Straße zu benützen. Sie waren noch nicht lange gegangen, da hörten sie in einiger Entfernung eine Stimme singen. Sie folgten ihr, in der Annahme, sie befänden sich in der Nähe der Straße. Stattdessen gelangten sie zum Rand einer kleinen Lichtung. Auf der Lichtung stand Felurian und sang leise vor sich hin:
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Cae-Lanion Luhial
di mari Felanua
Kreata Tu ciar
tu alaran di
Dirella. Amauen.
Loesi an delan
tu nia vor ruhlan
Felurian thae.
Obwohl Dedan mehr recht als schlecht sang, überlief mich ein Schauer. Die Melodie klang gespenstisch und zugleich zwingend und war mir vollkommen fremd. Auch die Sprache kannte ich nicht.
Dedan bemerkte meine Verwirrung und nickte. »Vor allem wegen dieses Liedes klingt die Geschichte des Jungen wahr. Ich verstehe zwar kein einziges Wort, aber der Wortlaut hat sich mir eingeprägt, obwohl ich das Lied nur einmal gehört habe. Die beiden Brüder blieben also neugierig am Rand der Lichtung stehen. Dank des Mondes konnten sie so gut sehen, als sei es helllichter Tag und nicht Nacht. Die Frau trug nichts am Leibe. Man sah trotz der langen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, dass sie nackt wie der Mond war.«
Ich höre sehr gerne Geschichten über Felurian, doch jetzt wanderte mein Blick zu Hespe, und meine Begeisterung kühlte ab. Hespe musterte Dedan, und als er fortfuhr, kniff sie die Augen ein wenig zusammen.
Dedan bemerkte es nicht. »Die Frau war hoch gewachsen und hatte lange, schlanke Beine. Auch ihre Taille war schlank, und ihre runden Hüften luden förmlich dazu ein, sie mit der Hand zu berühren. Ihr Bauch war so vollkommen und glatt wie ein makelloses Stück Birkenrinde, der Nabel zum Küssen gemacht.«
Hespes Augen hatten sich inzwischen zu schmalen
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