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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Schlitzen verengt. Noch vielsagender war ihr Mund, ein dünner, gerader Strich. Ich gebe euch einen guten Rat. Solltet ihr auf dem Gesicht einer Frau je einen solchen Blick sehen, hört sofort auf zu sprechen und setzt euch auf eure Hände. Es hilft vielleicht nichts mehr, aber ihr macht die Situation wenigstens nicht noch schlimmer.
    |763| Dedan redete leider weiter und gestikulierte mit seinen breiten Händen im Schein des Feuers immer heftiger. »Ihre Brüste waren voll und rund wie Pfirsiche, die darauf warten, geerntet zu werden. Und selbst der eifersüchtige Mond, der allen Dingen die Farbe nimmt, konnte nicht die rosige …«
    Hespe schnaubte angewidert und stand auf. »Ich gehe«, sagte sie so eisig, dass selbst Dedan es bemerkte.
    »Was ist denn?« Er sah sie an. Die Hände hielt er immer noch vor sich hin, als umfasse er damit die Brüste Felurians.
    Hespe knurrte wütend etwas vor sich hin und verschwand.
    Dedan ließ die Hände in den Schoß fallen. Auf seinem Gesicht folgten aufeinander in kürzester Zeit Verwirrung, Kränkung und Wut. Er stand ebenfalls auf, wischte ungeduldig einige Blätter und Zweige von seiner Hose ab und brummte etwas. Dann nahm er seine Decke und wollte zur anderen Seite der Lichtung gehen, auf der wir lagerten.
    »Endet die Geschichte damit, dass die beiden Brüder ihr nachlaufen und der Vater des Jungen dann zurückbleibt?«, fragte ich.
    Dedan drehte sich um. »Offenbar kennst du sie. Du hättest mich auch unterbrechen können, wenn …«
    »Ich rate nur«, erklärte ich hastig. »Ich möchte immer auch das Ende einer Geschichte hören.«
    »Der Vater ist mit dem Fuß in ein Kaninchenloch getreten und hat sich den Knöchel verstaucht«, sagte Dedan kurz angebunden. »Der Onkel verschwand spurlos.« Er trat mit grimmigem Gesicht aus dem Schein des Feuers.
    Ich sah Marten beschwörend an, doch der schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er leise, »um nichts auf der Welt mische ich mich da ein. Ihm jetzt zu helfen wäre, als wollte man ein Feuer mit bloßen Händen löschen. Schmerzhaft und vergeblich.«
    Tempi machte sein Nachtlager zurecht. Und Marten sah mich mit fragend erhobenem Finger an. Ob ich die erste Wache übernehmen wolle? Ich nickte, und er nahm seine Decke. »So verlockend manches erscheint, muss man doch das Risiko abwägen«, sagte er. »Wie dringend ist der Wunsch, und will man sich dafür wirklich die Finger verbrennen?«
    |764| Ich löschte das Feuer, und wenig später senkte sich die Nacht über die Lichtung. Ich legte mich auf den Rücken, blickte zu den Sternen empor und dachte an Denna.

|765| Kapitel 82
Barbaren
    A m folgenden Tag verlegten Tempi und ich das Lager, während Dedan und Hespe nach Crosson zurückkehrten, um Proviant zu besorgen. Marten kundschaftete einen abgelegenen Platz in der Nähe einer Quelle aus. Anschließend brachen wir das Lager ab, zogen mit Sack und Pack dorthin, hoben eine Latrinengrube aus, legten einen Feuerplatz an und richteten alles her.
    Tempi zeigte sich gesprächsbereit, aber ich zögerte. Ich hatte ihn schon früher durch meine Frage nach dem Lethani erzürnt und mied dieses Thema daher. Doch hatte ich keine Ahnung, was ihn noch kränken würde, wenn er sich schon über eine einfache Frage nach Liedern so sehr aufregte.
    Außerdem war seine Miene wieder völlig ausdruckslos, und er wich meinem Blick aus. Wie kann man sich aber vernünftig unterhalten, wenn man nicht weiß, was der Gesprächspartner empfindet? Man tastet sich gleichsam mit verbundenen Augen durch ein fremdes Haus.
    Ich entschied mich, auf Nummer sicher zu gehen, und fragte ihn nur nach einigen unverfänglichen Wörtern, überwiegend Gegenständen, da wir beide für eine Pantomime mit den Händen zu beschäftigt waren.
    Der größte Vorteil meiner Versuche, einige ademische Wörter zu lernen, war, dass Tempi dabei gleichzeitig sein Aturisch übte. Je mehr Fehler ich in seiner Sprache machte, desto selbstbewusster wurde er in seinen Sprechversuchen.
    Und ich machte viele Fehler. Manchmal stellte ich mich so dumm an, dass Tempi mir ein Wort mehrmals und auf verschiedene Weise erklären musste, alles natürlich auf Aturisch.
    |766| Gegen Mittag hatten wir das Lager aufgebaut. Marten ging zum Jagen, und Tempi absolvierte wieder seine Dehnübungen, die mich an einen langsamen Tanz erinnerten. Unmittelbar anschließend wiederholte er sie noch einmal, und mir kam der Verdacht, dass er sich womöglich ebenfalls langweilte. Als er fertig war, glänzte seine Haut

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