Die Furcht des Weisen / Band 1
schien nichts weiter sagen zu wollen. »Warum nicht mit den Händen lachen?«, setzte ich erneut an.
Tempi schüttelte den Kopf. »Nein, Lachen ist anders.« Er trat vor mich und klopfte mit zwei Fingern auf die Stelle über meinem Herzen. »Lächeln?« Er fuhr mit den Fingern meinen linken Arm entlang. »Wütend?« Er klopfte wieder auf mein Herz, machte ein zorniges Gesicht und schob wie schmollend die Unterlippe vor.
»Aber lachen?« Er drückte mit der flachen Hand auf meinen Bauch. »Lachen wohnt hier.« Er fuhr mit den Fingern zu meinem Mund hinauf und spreizte sie. »Lachen unterdrücken ist nicht gut. Nicht gesund.«
»Und Weinen?«, fragte ich und zeichnete mit dem Finger die Spur einer Träne auf meine Wange.
»Auch nicht.« Er legte sich die Hand auf den Bauch, lachte und drückte mit der Hand dagegen, um mir zu zeigen, wie sein Bauch |771| sich bewegte. Dann machte er eine traurige Miene, tat einige übertriebene Schluchzer und drückte wieder auf den Bauch. »Selbe Stelle. Unterdrücken ist nicht gesund.«
Ich nickte langsam und versuchte mir vorzustellen, was Tempi inmitten von Leuten empfinden mochte, die ihm ständig ihren Gesichtsausdruck aufdrängten und mit ihren Händen unsinnige Gesten vollführten. »Es muss für dich bei uns sehr anstrengend sein.«
»Geht schon.«
Untertreibung.
»Wenn ich hierher komme, weiß ich es. Keine Zivilisation. Barbaren sind unhöflich.«
»Barbaren?«
Er machte eine ausholende Handbewegung, die unsere Lichtung, den Wald und ganz Vintas einschloss. »Hier sind alle wie Hunde.« Er machte eine übertrieben wütende Grimasse, fletschte die Zähne, knurrte und rollte wie verrückt mit den Augen. »Ihr wisst es nicht besser.« Er zuckte gelassen mit den Schultern, als wollte er sagen, er sei uns deswegen nicht böse.
»Und die Kinder?«, fragte ich. »Sie lächeln, noch bevor sie sprechen. Ist das falsch?«
Tempi schüttelte den Kopf. »Alle Kinder sind Barbaren. Lächeln alle mit dem Gesicht. Alle Kinder sind unhöflich. Aber sie werden älter, beobachten und lernen.« Er schwieg und überlegte. »Barbaren haben keine Frau, die ihnen Zivilisation beibringt. Barbaren können nicht lernen.«
Ich kann euch versichern, dass er mich nicht kränken wollte, und ich war fester entschlossen denn je, die Gestensprache der Adem zu erlernen.
Tempi stand auf und vollführte einige Streckübungen, die ich von den Akrobaten der Schauspieltruppe kannte, mit der ich in meiner Kindheit unterwegs gewesen war. Nachdem er sich etwa eine Viertelstunde lang aufgewärmt hatte, begann er wieder mit seiner langsamen, an einen Tanz erinnernden Pantomime. Sie trug den Namen Ketan, was ich damals allerdings noch nicht wusste.
Immer noch ein wenig verärgert über seine Bemerkung, Barbaren seien nicht lernfähig, beschloss ich, seine Bewegungen nachzumachen. Schließlich hatte ich nichts Besseres zu tun.
Dabei merkte ich allerdings erst, wie verteufelt schwer es war, die |772| Hände genau im richtigen Winkel zu öffnen und mit den Füßen die richtige Stellung einzunehmen. Obwohl Tempi sich unendlich langsam bewegte, wirkte bei mir alles viel schwerfälliger und weniger geschmeidig. Er hielt nicht an, blickte auch kein einziges Mal in meine Richtung und half mir oder ermunterte mich mit keinem Wort.
Ich war erschöpft und entsprechend froh, als wir fertig waren. Anschließend machte ich Feuer und band drei Stöcke zu einem Dreifuß zusammen. Tempi holte wortlos ein Stück Wurst und einige Kartoffeln, die er mit seinem Schwert sorgfältig schälte.
Letzteres überraschte mich, da Tempi mit seinem Schwert ähnlich heikel war wie ich mit meiner Laute. Als Dedan es einmal in die Hand genommen hatte, hatte Tempi mit einem dramatischen Gefühlsausbruch reagiert. Das heißt dramatisch für seine Verhältnisse: Er hatte zwei vollständige Sätze gesprochen und dazu ein wenig die Stirn gerunzelt.
Tempi bemerkte meinen Blick und legte fragend den Kopf schräg.
Ich zeigte auf sein Schwert. »Schwert?«, fragte ich. »Zum Kartoffelschälen?«
Tempi blickte auf die halbgeschälte Kartoffel in seiner Hand und das Schwert in der anderen. »Es ist scharf.« Er zuckte die Schultern. »Und sauber.«
Ich erwiderte die Geste, denn ich wollte nicht zu viel Aufhebens um meine Frage machen. Während der weiteren Essensvorbereitungen lernte ich noch die Wörter für Eisen, Knoten, Blatt, Funke und Salz.
Während wir darauf warteten, dass das Wasser kochte, stand Tempi auf und begann erneut mit seinen
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