Die Furcht des Weisen / Band 1
räusperte sich wieder. »Entschuldigt«, sagte er und nahm wieder einen langen Schluck Wasser.
Hespe wandte sich an Dedan. »Was für eine Farbe hatte der Mantel deiner Meinung nach?«
Dedan runzelte die Stirn und sah sie fast vorwurfsvoll an. »Wie meinst du das? Keine bestimmte Farbe eben, genauso wie es in der Geschichte heißt.«
Hespe presste die Lippen zu einem Strich zusammen. »Das weiß ich selber. Aber wenn man sich den Mantel in Gedanken vorstellt, wie sieht er dann aus? Man muss ihn sich doch irgendwie vorstellen.«
Dedan überlegte einen Moment. »Ich habe mir immer vorgestellt, dass er schimmert. Wie das Pflaster vor einer Talgsiederei nach einem heftigen Regen.«
»Ich stelle ihn mir schmutziggrau vor«, sagte Hespe. »Irgendwie ausgewaschen, weil Taborlin ja ständig auf der Straße unterwegs war.«
»Das leuchtet mir ein.« Dedan nickte, und ich sah, wie Hespes Lippen sich wieder entspannten.
»Für mich war er weiß«, meinte Tempi. »Also nicht farbig.«
»Ich denke immer an ein helles Himmelblau.« Marten zuckte die Achseln. »Das klingt nicht logisch, ich weiß, aber so stelle ich ihn mir eben vor.«
Die anderen sahen mich an.
»Ich denke manchmal an eine Flickendecke«, sagte ich, »zusammengenäht aus lauter verschiedenfarbigen Stoffresten. Aber meist stelle ich ihn mir ganz dunkel vor, wie eine Farbe, die so dunkel ist, dass niemand sie sieht.«
Als Kind hatte ich den Geschichten über Taborlin mit staunend aufgerissenen Augen gelauscht. Inzwischen wusste ich, was es mit der Zauberei auf sich hatte. Ich hörte die Geschichten zwar immer noch gern, aber gewissermaßen auf einer anderen Ebene, zwischen Nostalgie und Belustigung.
|776| Doch Taborlins Mantel, der keine bestimmte Farbe hat, hatte ich besonders ins Herz geschlossen. Ein Großteil seiner Zauberkraft steckte natürlich in seinem Stab. Sein Schwert war tödlich, und auch sein Schlüssel, seine Münze und die Kerze waren für ihn sehr wichtig. Doch der Mantel war gleichsam der Inbegriff seiner Macht. Mit ihm konnte er sich notfalls verkleiden und sich verbergen. Der Mantel schützte ihn vor Regen, Pfeilen und Feuer.
Er hatte außerdem viele Taschen, in denen Taborlin wunderbare Dinge verstecken konnte. Ein Messer etwa, ein Spielzeug für ein Kind oder eine Blume für eine Dame. Was immer er brauchte, es steckte irgendwo in diesem Mantel, der keine bestimmte Farbe hatte. Wegen dieser Geschichte wollte ich als Kind von meiner Mutter unbedingt auch einen Mantel haben.
Ich zog meinen Mantel fester um mich, meinen unansehnlichen, zerschlissenen und ausgebleichten Mantel, den der Kessler mir verkauft hatte. Bei einem unserer Besuche in Crosson, wo wir unseren Proviant kauften, hatte ich auch etwas Stoff erstanden und damit einige unförmige Taschen in den Mantel genäht. Natürlich konnte er trotzdem nicht den weinroten Mantel ersetzen oder den schönen schwarzgrünen Umhang, den Fela mir geschenkt hatte.
Marten räusperte sich noch einmal und setzte seine Geschichte fort. »Taborlin schlug also mit der Hand auf die Truhe und rief
›Edro!‹
. Der Deckel der Truhe flog auf, und Taborlin holte Mantel und Stab heraus. Er ließ einige gewaltige Blitze vom Himmel niederfahren und tötete damit zwanzig Wachen. Weitere zwanzig tötete er mit einer Flammenwand. Die übrigen warfen ihre Schwerter weg und flehten um Gnade. Taborlin holte den Rest seiner Sachen aus der Truhe, den Schlüssel und die Münze, und steckte sie ein. Zuletzt holte er sein kupfernes Schwert mit Namen Skyaldrin heraus, gürtete es sich …«
»Wie bitte?«, unterbrach Dedan ihn lachend. »So ein Quatsch. Taborlins Schwert war nicht aus Kupfer.«
»Halt den Mund«, sagte Marten, verärgert über die Unterbrechung. »Natürlich war es aus Kupfer.«
»Halt selber den Mund«, erwiderte Dedan. »Wer hat je von einem kupfernen Schwert gehört? Kupfer kann man doch gar nicht scharf |777| schleifen. Das wäre, als wolltest du jemanden mit einem großen Penny töten.«
Hespe lachte. »Es war bestimmt aus Silber, nicht wahr, Marten?«
»Aus Kupfer«, beharrte Marten.
»Vielleicht ganz am Anfang«, flüsterte Dedan Hespe laut zu. »Als Taborlin sich noch kein anderes leisten konnte.«
Marten warf den beiden einen wütenden Blick zu. »Kupfer, verdammt noch mal. Wenn euch das nicht passt, denkt euch selber aus, wie die Geschichte weitergeht.« Er verschränkte die Arme auf der Brust.
»Gut«, sagte Dedan, »dann soll Kvothe uns eine Geschichte erzählen. Er ist
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