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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Kein verrücktes Feuer aus Worten.«
    »Alles ging sehr schnell«, sagte ich ein wenig verlegen. »Ich konnte nichts sehen.«
    »Ja, Kämpfen geht schnell. Man muss Schnelligkeit üben. Üben, nicht Wortfeuer anzünden.«
    Er machte die Geste für
ernstgemeint
und erwiderte meinen Blick, was er höchst selten tat. »Ich sage dir das, weil du der Anführer bist. Du musst es wissen. Wenn du glaubst, ich habe Geheimnisse und eine Haut aus Eisen …« Er wandte den Blick ab und schüttelte den Kopf.
Gefährlich.
    Wir setzten uns wieder neben unsere Rucksäcke.
    »Ich habe das aus einer Geschichte«, erklärte ich. »Einer Geschichte, wie wir sie uns abends am Feuer erzählen.«
    »Aber du«, er zeigte auf mich, »du hast Feuer in deinen Händen. |816| Du hast …« Er schnippte mit den Fingern und bewegte die Hände wie ein plötzlich aufloderndes Feuer. »Du kannst das, aber du glaubst trotzdem, die Adem hätten ein Wortfeuer in sich?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Deshalb frage ich ja, was Lethani ist. Es klingt verrückt, aber manches Verrückte ist wahr. Ich habe es schon erlebt und bin deshalb neugierig.« Ich zögerte. »Du sagtest, wer Lethani beherrsche, siege im Kampf.«
    »Ja, aber nicht mit Wortfeuern. Lethani ist ein bestimmtes Wissen.« Tempi machte eine Pause und suchte nach Worten. »Es ist sehr wichtig. Alle Adem lernen es. Die Söldner lernen es zwei Mal, Shehyn lernt es sogar drei Mal. So wichtig ist es. Aber schwer. Lethani ist … vieles zugleich. Aber nichts, das man anfassen oder auf das man zeigen könnte. Einige Adem denken ihr ganzes Leben lang über Lethani nach. Es ist sehr schwer. Und es gibt verschiedene Probleme. Es schickt sich nicht für mich, meinen Anführer zu belehren. Andererseits bist du in der Sprache mein Schüler. Und Lethani wird von Frauen unterrichtet. Ich bin keine Frau. Und Lethani ist ein Teil der Zivilisation und du bist ein Barbar.« Er machte die Geste für
Bedauern.
»Aber du willst zur Zivilisation gehören und du brauchst Lethani.«
    »Erkläre es mir«, sagte ich. »Ich will versuchen, es zu verstehen.«
    Tempi nickte. »Lethani heißt, das Richtige zu tun.«
    Ich wartete geduldig darauf, dass er fortfuhr. Nach einer Weile machte er die Geste für
Ratlosigkeit.
»Am besten stellst du mir Fragen.« Er holte tief Luft und wiederholte dann: »Lethani heißt, das Richtige zu tun.«
    Ich suchte nach einem Beispiel für eine gute Tat. »Lethani hieße also, einem hungrigen Kind zu essen geben?«
    Tempi machte eine unentschiedene Handbewegung, die
Ja
und
Nein
zugleich bedeutete. »Lethani bedeutet nicht, etwas Bestimmtes zu tun. Lethani zeigt, was wir tun sollen.«
    »Es besteht also aus Regeln und Gesetzen?«
    Tempi schüttelte den Kopf. »Nein.« Er zeigte auf den Wald um uns herum. »Gesetze kommen von außen und bestimmen etwas. Sie … sind das Eisen im Mund des Pferdes. Und die Riemen am Kopf.« Er machte eine fragende Handbewegung.
    |817| »Zügel und Trense?« Ich tat so, als würde ich mit Zügeln am Kopf eines Pferdes ziehen.
    »Ja. Gesetze sind Zügel und Trense. Sie bestimmen von außen. Lethani dagegen …« Er zeigte auf seine Augen und dann auf seine Brust. »… ist in uns. Es hilft uns, Entscheidungen zu treffen. Gesetze gibt es nur, weil viele Lethani nicht verstehen.«
    »Wer sich darauf versteht, braucht also das Gesetz nicht zu befolgen?«
    Pause. »Vielleicht.«
Ratlosigkeit.
Tempi zog sein Schwert und hielt es mit der Schneide nach oben über den Boden. »Wenn du klein wärst, wäre auf diesem Schwert zu gehen wie Lethani.«
    »Schmerzhaft für die Füße?«, fragte ich, um die Stimmung ein wenig aufzulockern, und machte das Zeichen für
lustig gemeint.
    Tempi erwiderte mit den Zeichen für
Ärger, Missbilligung.
»Nein, schwierig zu gehen. Man fällt leicht herunter.«
    »Lethani führt immer geradeaus?«
    »Nein.« Pause. »Wie sagt man, wenn es viele Berge gibt, aber nur einen Ort zum Gehen?«
    »Weg? Pass?«
    »Pass.« Tempi nickte. »Lethani ist wie ein Pass im Gebirge. Ein gewundener, schwieriger Pfad. Der einzige Übergang über die Berge, aber nur schwer zu erkennen. Viele andere Wege sind leichter, aber sie führen nicht auf die andere Seite. Manchmal enden sie einfach. Man verhungert oder stürzt ab.«
    »Lethani ist also der richtige Weg über die Berge.«
    Tempi bekundete
teilweise Zustimmung.
»Es ist der richtige Weg über die Berge«, fuhr er eifrig fort. »Aber auch das Wissen um den richtigen Weg. Beides. Und die Berge sind nicht

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