Die Furcht des Weisen / Band 1
nur Schwierigkeiten ein, wenn er seiner Liebe hinterherläuft.«
Hespe sah Dedan nicht an, als sie das sagte. Sie sah überall hin, nur nicht zu ihm. Deshalb bemerkte sie auch den verwirrten, hilflosen Blick auf seinem Gesicht nicht.
»Wie kann ich herausfinden, ob Luna mich auch liebt?«, fragte Jax.
»Du könntest es mit Zuhören versuchen«, sagte der Alte fast ein wenig scheu. »Das wirkt nämlich Wunder. Ich könnte es dir beibringen.«
»Wie lange würde das dauern?«
»Ein paar Jahre«, sagte der Alte. »Mehr oder weniger. Es hängt davon ab, wie begabt du bist. Richtiges Zuhören hat seine Tücken. Aber wenn du es erst beherrschst, lernst du Luna in- und auswendig kennen.«
Jax schüttelte den Kopf. »Das dauert mir zu lange. Wenn ich sie fange, kann ich mit ihr reden und …«
»Aber da wird es schon schwierig«, erwiderte der Alte. »Eigentlich willst du sie doch nicht fangen. Willst du ihr etwa am Himmel hinterherlaufen? Natürlich nicht. Du willst ihr begegnen. Aber das bedeutet, sie muss zu dir kommen.«
»Wie soll ich das erreichen?«
Der Alte lächelte. »Das ist die Frage, nicht wahr? Womit könntest du sie locken? Was hast du ihr anzubieten?«
»Nur das, was ich in meinem Ranzen habe.«
»Das habe ich nicht gemeint«, brummte der Alte. »Aber sehen wir uns ruhig an, was in deinem Ranzen ist.«
Der Einsiedler sah sich das erste Fach an und entdeckte darin viele praktische Dinge. Das zweite Fach enthielt Dinge, die wertvoller und seltener waren, aber nicht nützlicher.
Der Blick des Alten fiel auf das dritte Fach. »Und was ist da drin?«
»Ich konnte es nie öffnen«, sagte Jax. »Ich habe den Knoten nicht aufbekommen.«
Der Einsiedler schloss einen Moment die Augen und lauschte. Dann öffnete er sie wieder und sah Jax stirnrunzelnd an. »Der Knoten meint, du hättest an ihm gerissen, mit einem Messer in ihm herumgestochert und mit den Zähnen in ihn hineingebissen.«
|824| »Stimmt«, gab Jax überrascht zu. »Ich habe dir ja gesagt, ich habe alles versucht, ihn zu öffnen.«
»Bestimmt nicht alles«, erwiderte der Einsiedler abschätzig. Er hob den Ranzen hoch, bis der Knoten sich auf der Höhe seines Gesichts befand. »Es tut mir schrecklich leid«, murmelte er, »aber willst du nicht bitte aufgehen?« Er schwieg. »Ja, ich entschuldige mich dafür. Er wird es nicht mehr tun.«
Der Knoten löste sich, und der Einsiedler öffnete das Fach und blickte hinein. Erstaunt riss er die Augen auf und pfiff leise.
Doch als er den Inhalt auf dem Boden ausbreitete, ließ Jax enttäuscht die Schultern hängen. Er hatte auf Geld oder Edelsteine gehofft, irgendeinen Schatz, den er Luna schenken konnte. Doch das Fach enthielt lediglich ein gebogenes Stück Holz, eine steinerne Flöte und ein kleines, eisernes Kästchen.
Nur die aus hellgrünem Stein gefertigte Flöte erregte seine Neugier. »Ich hatte als Kind eine Flöte«, sagte er. »Aber sie ging kaputt, und ich konnte sie nicht reparieren.«
»Das sind drei sehr schöne Dinge«, sagte der Alte.
»Die Flöte schon«, sagte Jax mit einem Achselzucken. »Aber was nützt mir ein Stück Holz? Und das Kästchen ist viel zu klein.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Hörst du nicht, was diese Dinge zu sagen haben? Die meisten Dinge flüstern, diese aber rufen laut.« Er zeigte auf das Holzstück. »Das ist ein Falthaus, wenn mich nicht alles täuscht. Ein sehr schönes übrigens.«
»Was ist ein Falthaus?«
»Du weißt, dass Papier, wenn man es zusammenfaltet, immer kleiner wird.« Der Alte zeigte auf das gebogene Stück Holz. »Genau so funktioniert ein Falthaus. Nur dass es eben ein Haus ist.«
Jax nahm das Holstück und versuchte es geradezubiegen. Plötzlich hielt er zwei Holzstücke in der Hand, die entfernt an einen Türrahmen erinnerten.
»Falte es nicht hier auf!«, rief der Alte. »Ich will nicht, dass ein Haus vor meiner Höhle steht und die Sonne verdeckt!«
Jax wollte die beiden Stücke wieder zusammendrücken. »Warum kann ich es nicht wieder zusammenfalten?«
»Wahrscheinlich weil du nicht weißt, wie es geht«, erwiderte der |825| Alte. »Ich schlage vor, du wartest mit dem Auffalten, bis du weißt, wo es stehen soll.«
Jax legte das Holz behutsam auf den Boden und hob die Flöte auf. »Ist die Flöte auch etwas Besonderes?« Er setzte sie an die Lippen und spielte einen einfachen Triller.
Hespe lächelte verschmitzt, hob eine mir bekannte Holzpfeife an die Lippen und blies hinein.
Ta-ta diiiie, ta-ta diiiie.
Die
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