Die Furcht des Weisen / Band 1
»Meister des Handwerks?«
Ich fluchte innerlich. In der vergangenen Spanne hatte ich alle sechs Bücher gelesen, die Meister Lorren den Re’laren zur Vorbereitung empfohlen hatte. Allein Feltemi Reis’
Untergang des Reichs
hatte mich zehn Stunden gekostet. Ein regulärer Zugang zur Bibliothek zählte zu meinen sehnlichsten Wünschen, und ich hatte verzweifelt gehofft, Meister Lorren damit beeindrucken zu können, dass ich auf alle Fragen, die er mir stellen würde, die korrekte Antwort wusste.
Doch das war nun nicht mehr zu ändern. Ich wandte mich Kilvin zu.
»Galvanischer Durchsatz von Kupfer«, grummelte der an einen Bären erinnernde Meister in seinen Bart.
Ich nannte den Wert bis auf die fünfte Stelle nach dem Komma. Ich hatte das bei meinen Berechnungen für die Decksleuchten gebraucht.
|133| »Konduktiver Koeffizient von Gallium.«
Das hatte ich wissen müssen, um die Emitter der Leuchten fachgerecht dotieren zu können. Stellte mir Kilvin absichtlich einfache Fragen? Ich nannte den Wert.
»Gut«, sagte Kilvin. »Meister der Rhetorik.«
Ich atmete tief durch, als ich mich nun Hemme zuwandte. Ich war so weit gegangen, drei seiner Bücher zu lesen, obwohl ich für Rhetorik und sinnloses Philosophieren eigentlich nur Abscheu empfand.
Dennoch konnte ich meinen Widerwillen zwei Minuten lang unterdrücken und in die Rolle des guten, bescheidenen Studenten schlüpfen. Ich bin ein Ruh, das Schauspielern liegt mir im Blut.
Hemme blickte mich mit seinem Mondgesicht finster an. »Hast du das Feuer in meinen Gemächern gelegt, du mieser kleiner Rabauke?«
Diese unverhohlene Frage erwischte mich vollkommen unvorbereitet. Ich war auf äußerst schwierige Fragen eingestellt, auf Fangfragen oder Fragen, die er so drehen und wenden konnte, dass jede Antwort, die ich darauf gegeben hätte, falsch erschienen wäre.
Diese urplötzliche Anschuldigung aber erwischte mich auf dem falschen Fuß. Und »Rabauke« ist ein Begriff, den ich überhaupt nicht ausstehen kann. Ein Sturm von Gefühlen brach in mir los, und mit einem Mal hatte ich wieder etwas von dem Pflaumengeschmack im Mund. Während ein Teil von mir noch überlegte, wie ich möglichst höflich darauf reagieren konnte, stellte ich fest, dass ich längst etwas sagte. »Ich habe das Feuer in Euren Gemächern nicht gelegt«, sagte ich aufrichtig. »Aber ich wünschte, ich hätte es getan. Und ich wünschte, Ihr wäret dort gewesen und hättet tief und fest geschlafen.«
Hemme blickte mich baff an.
»Re’lar Kvothe!«, schnauzte der Rektor. »Du wirst dich hier eines höflichen Tons befleißigen, oder ich persönlich werde dich des ungebührlichen Verhaltens beschuldigen!«
Der Pflaumengeschmack verschwand so schnell, wie er gekommen war, und hinterließ ein leichtes Schwindelgefühl, und ich war schlagartig vor Angst und Verlegenheit in Schweiß gebadet. »Entschuldigt bitte, Meister Rektor«, sagte ich schnell und schlug den |134| Blick nieder. »Ich sprach im Zorn. Rabauke ist ein Begriff, den mein Volk als ganz besonders beleidigend empfindet. Er wird gebraucht, um die systematische Ermordung tausender Ruh zu verharmlosen.«
Zwischen den Augenbrauen des Rektors bildete sich eine wissbegierige Falte. »Ich gebe zu, dass mir dieser etymologische Aspekt bisher nicht bekannt war«, sagte er nachdenklich. »Dann stelle ich doch dazu gleich meine Frage.«
»Moment mal!«, unterbrach ihn Hemme. »Ich bin noch nicht fertig.«
»Doch, Ihr seid fertig«, sagte der Rektor in strengem Ton. »Ihr seid ebenso schlimm wie dieser Junge, Jasom, und habt viel weniger, das Euch entschuldigen würde. Ihr habt nunmehr bewiesen, dass Ihr nicht in der Lage seid, Euch in einer Weise zu betragen, die Eurem Amt gemäß wäre,
also haltet die Schnauze
, und schätzt Euch glücklich, dass ich Euch keinen offiziellen Verweis erteile.«
Hemme wurde bleich vor Wut, erwiderte aber nichts darauf.
Der Rektor wandte sich wieder an mich. »Meister der Sprachkunde«, nannte er seinen eigenen Titel. »Re’lar Kvothe: Erkläre die Etymologie des Wortes ›Rabauke‹.«
»Es stammt aus den Säuberungsaktionen, die Kaiser Alcyon eingeleitet hat. Er gab eine Erklärung heraus, in der stand, die ›reisenden Rabauken‹ sollten ohne Gerichtsverfahren zu Geldstrafen, Kerkerhaft oder Ausweisung verurteilt werden. Das hat sehr zur Verbreitung dieses Begriffs beigetragen.«
Der Rektor hob eine Augenbraue. »Tatsächlich?«
»Ja«, sagte ich.
Der Rektor nickte formell. »Danke, Re’lar
Weitere Kostenlose Bücher