Die Furcht des Weisen / Band 1
vielleicht in der Lage, zwei Gedanken gleichzeitig im Kopf zu behalten. Sie würden sich vielleicht berühren, und dabei würde ein Funke sprühen. Auch nur ein wenig Rauch wäre schön, denn dann würde es wenigstens so aussehen, als ob in seinem Kopf irgendetwas geschieht.« Sie seufzte.
»Ist er wirklich so dumm?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist nur vertrauensselig. Er hat keine einzige berechnende Faser im ganzen Leib und hat, seit er vor einem Monat hier angekommen ist, einen Fehler nach dem anderen gemacht.«
Ich griff unter meinen Umhang und holte zwei kleine, in Stoff eingewickelte Päckchen hervor – ein blaues und ein weißes. »Ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«
Denna nahm die Päckchen und guckte ein wenig verwirrt.
Was mir kurz zuvor noch als ausgezeichnete Idee erschienen war, kam mir nun reichlich töricht vor. »Das ist für deine Lunge«, sagte ich, plötzlich verlegen. »Ich weiß doch, dass du manchmal Schwierigkeiten damit hast.«
Sie neigte den Kopf zur Seite. »Und woher weißt du das, bitte schön?«
|140| »Du hast es erwähnt, als wir in Trebon waren«, sagte ich. »Ich hab mich dazu mal klug gemacht.« Ich wies auf das eine Päckchen. »Das kannst du als Tee aufbrühen: Federbiss, Taubnessel, Lohatm …« Ich deutete auf das andere. »Und diese Blätter übergießt man mit kochendem Wasser und inhaliert dann den Dampf.«
Denna blickte zwischen den beiden Päckchen hin und her.
»Ich habe die Gebrauchsanweisung auf kleine Zettel geschrieben und da reinsteckt«, sagte ich. »Das Blaue ist zum Inhalieren«, sagte ich. »Blau für blaues Wasser.«
Sie sah mich an. »Macht man Tee nicht auch mit Wasser?«
Ich zuckte zusammen, wurde rot und wollte etwas sagen, aber Denna lachte und schüttelte den Kopf. »Ich zieh dich doch nur auf«, sagte sie. »Vielen Dank. Das ist das Liebste, was jemand seit langer Zeit für mich getan hat.«
Sie ging zu einer Kommode und verstaute die beiden Päckchen in einer reich verzierten Holzschatulle.
»Du scheinst dich hier ja ganz gut zu stehen«, sagte ich und wies auf das bestens ausgestattete Zimmer.
Denna zuckte die Achseln und sah sich mit gleichgültiger Miene um. »Kellin steht sich gut«, sagte sie. »Auf mich fällt nur ein Abglanz davon.«
Ich nickte. »Und ich dachte, du hättest vielleicht endlich einen Schirmherrn gefunden.«
»Nein, so formell ist es nicht. Kellin und ich gehen ein Stück des Wegs zusammen, wie man in Modeg sagt, und er bringt mir ein bisschen das Harfespiel bei.« Sie nickte in Richtung des in der Ecke stehenden Instruments.
»Magst du mir zeigen, was du schon gelernt hast?«
Denna schüttelte verlegen den Kopf, und dabei glitt ihr das Haar über die Schultern. »Ich bin noch nicht besonders gut.«
»Ich würde meinen natürlichen Drang zu zischen und zu buhen nach Kräften unterdrücken«, erwiderte ich.
Denna lachte. »Also gut. Aber nur ganz kurz.« Sie trat hinter die Harfe und zog einen Hocker zum Anlehnen herbei. Dann legte sie die Finger auf die Saiten, hielt einen Moment lang inne und begann zu spielen.
|141| Die Melodie war eine Variante von
Leithammel
. Ich musste lächeln.
Sie spielte langsam, fast getragen. Viel zu viele Leute meinen, einen guten Musiker könnte man an der Schnelligkeit seines Vortrags erkennen. Es ist nachvollziehbar, woher diese Auffassung stammt: Was Marie im EOLIAN getan hatte, war umwerfend gewesen. Doch wie schnell man Töne hervorbringen kann, ist nur ein kleiner Aspekt beim Musizieren. Das Entscheidende dabei ist das Gefühl für das Tempo.
Das ist wie beim Witzeerzählen. An den Wortlaut eines Witzes kann sich jeder erinnern, und jeder kann ihn wiederholen. Doch jemanden zum Lachen zu bringen, erfordert mehr als das. Wenn man einen Witz schneller erzählt, wird er nicht lustiger. Wie bei vielen Dingen ist es besser, sich Zeit zu lassen, als zu übereilen.
Das ist der Grund, weshalb es nur so wenige wahre Musiker gibt. Gut singen oder Geige spielen können viele. Und auch eine Spieluhr spult ein Lied immer wieder fehlerlos ab. Doch es genügt nicht, die Töne zu kennen. Man muss auch wissen,
wie
man sie zu spielen hat. Schnelligkeit kommt mit der Zeit und mit der Übung, mit dem Gefühl für das Tempo aber muss man geboren sein. Das hat man entweder, oder man hat es nicht.
Denna hatte es. Sie spielte langsam, aber sie schleppte sich nicht dahin. Sie spielte das Lied so langsam, als wäre es ein köstlicher Kuss. Nicht dass ich zu jener Zeit in meinem Leben
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