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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Erzählt mir, wie die Welt seine Masse anzieht und wie der Wind ihn umfängt, wenn er sich durch die Luft bewegt. Sagt mir, wie die Eisenspuren darin den Lockruf eines Magneteisensteins empfinden. All das und noch hunderttausend Aspekte mehr machen den Namen dieses Steins aus.« Er hielt ihn uns bis auf Armeslänge hin. »Dieser eine, ganz einfache Stein.«
    Elodin ließ die Hand wieder sinken und sah uns an. »Versteht ihr nun, wie komplex selbst so ein einfaches Ding ist? Wenn ihr diesen Stein einen ganzen Monat lang studieren würdet, würdet ihr ihn vielleicht gut genug kennenlernen, um einen Blick auf die äußeren Umrisse seines Namens zu erhaschen. Aber auch nur vielleicht.
    Das ist das Problem, das sich dem Namenskundler stellt. Wir müssen Dinge verstehen, die unser Verständnis weit übersteigen. Wie soll das gehen?«
    Statt eine Antwort abzuwarten, griff er zu dem Papier, das er mitgebracht hatte, und teilte an jeden von uns einige Bögen davon aus. »In fünfzehn Minuten werde ich diesen Stein werfen. Ich werde hier stehen.« Er stellte seine Füße in Position. »Und mich in diese Richtung |172| wenden.« Er richtete die Schultern aus. »Es wird ein Unterhandwurf mit etwa drei Grip Wucht dahinter. Ihr sollt nun berechnen, wie sich der Stein durch die Luft bewegen wird, damit ihr die Hand an der richtigen Stelle haben könnt, um ihn aufzufangen.«
    Elodin legte den Stein auf einem Pult ab. »Ab jetzt.«
    Ich legte mich ordentlich ins Zeug. Ich zeichnete Dreiecke und Flugbahnen, ich rechnete und versuchte mir alle möglichen Formeln ins Gedächtnis zu rufen, die ich nur noch bruchstückhaft in Erinnerung hatte. Es dauerte nicht lange, und ich verzweifelte fast angesichts der Unmöglichkeit, diese Aufgabe zu bewältigen. Viel zu viel war dabei unbekannt oder ließ sich einfach nicht berechnen.
    Nachdem wir fünf Minuten lang allein daran gearbeitet hatten, ermunterte uns Elodin, uns als Gruppe zusammenzutun. Da erlebte ich zum ersten Mal Ureshs ungeheure Begabung im Umgang mit Zahlen. Seine Berechnungen ließen meine so weit hinter sich, dass ich das meiste davon gar nicht verstand. Fela war auf ihre Art fast ebenso geschickt und hatte eine ganze Reihe detaillierter Parabeln skizziert.
    Wir sieben diskutierten und stritten, versuchten es, scheiterten und versuchten es erneut. Als die Viertelstunde um war, waren wir entnervt. Ich ganz besonders. Ich hasse Probleme, die ich nicht lösen kann.
    Elodin sah uns als Gruppe an. »Also, was könnt ihr mir sagen?«
    Einige von uns fingen an, unsere halbgaren Lösungsansätze und Schätzungen vorzutragen, aber er brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Was könnt ihr mir mit Sicherheit sagen?«
    Nach kurzem Zögern meldete sich Fela zu Wort. »Wir wissen nicht, wohin der Stein fallen wird.«
    Elodin klatschte Beifall. »Sehr gut! Das ist die richtige Antwort. Und jetzt passt mal auf.«
    Er ging zur Tür und guckte auf den Korridor hinaus. »Henri!«, rief er. »Ja, du! Komm mal kurz her!« Er kam zurück in den Saal und führte einen von Jamisons Laufburschen herein, einen höchstens acht Jahre alten Jungen.
    Elodin ließ ihn am Eingang stehen, ging fünf, sechs Schritte weiter und drehte sich dann wieder zu dem Jungen um. Er richtete die |173| Schultern aus und setzte ein irres Grinsen auf. »Fang!«, sagte er und warf dem Jungen den Stein hin.
    Der Junge erschrak und fing den Stein aus der Luft.
    Elodin applaudierte wie wild, beglückwünschte den immer noch verwirrten Jungen, nahm den Stein wieder an sich und führte den Jungen aus dem Saal.
    Dann wandte sich unser Lehrer uns zu. »Also«, sagte Elodin, »wie hat er das gemacht? Wie konnte er binnen einer Sekunde berechnen, was sieben brillante Mitglieder des Arkanums in einer gemeinschaftlichen Anstrengung in einer ganzen Viertelstunde nicht herausbekommen haben? Versteht er etwa mehr von Geometrie als Fela? Kann er schneller rechnen als Uresh? Sollten wir ihn wieder hereinholen und zum Re’lar ernennen?«
    Wir lachten, und die Stimmung löste sich ein wenig.
    »Es geht mir um Folgendes: Jeder von uns besitzt einen Geist für unser waches Tun. Aber jeder von uns hat auch noch einen anderen Geist, einen schlummernden Geist. Und der ist so mächtig, dass der schlummernde Geist eines Achtjährigen in einer Sekunde etwas leisten kann, wozu der wache Geist von sieben Mitgliedern des Arkanums in einer ganzen Viertelstunde nicht imstande ist.«
    Er machte eine weit ausladende Geste. »Euer schlummernder

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