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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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vergangen wie ein Traum beim Aufwachen, unerreichbar wie ein Echo oder ein verklingender Seufzer. Diesmal war es anders.
    Ich hatte die Muster der windgepeitschten Blätter stundenlang verfolgt. Als ich jetzt durch die Äste blickte, dachte ich an die hüpfende, sich drehende, lachende und rennende Celean. Und da war er wieder, wie der Name eines alten Freundes, den ich für einen kurzen Moment vergessen hatte. Ich blickte durch die Äste hindurch und sah den Wind. Zärtlich sprach ich seinen langen Namen aus, und er wurde schwächer. Ich flüsterte ihn, und zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Haert erstarb er vollkommen.
    An diesem Ort, an dem es ständig windet, war es, als halte plötzlich die ganze Welt den Atem an. Der unaufhörliche Tanz des Schwertbaums wurde langsamer und kam zum Stillstand, als ruhe der Baum sich aus, als habe er beschlossen, mich ziehen zu lassen.
    Ich löste mich vom Stamm und ging mit leeren Händen langsam nach draußen und auf Shehyn zu. Unterwegs hob ich die linke Hand und zog sie mit der geöffneten Innenfläche über die Schneide eines herunterhängenden Blatts.
    Vor Shehyn blieb ich in höflichem Abstand stehen. Mein Gesicht war zu einer Maske erstarrt und ich stand vollkommen stumm und unbewegt da.
    Dann streckte ich die linke Hand mit der blutigen Handfläche nach oben aus und ballte sie zur Faust, der Gebärde für
bereit
und
willens
. Die Hand blutete stärker, als ich erwartet hatte, und das Blut drang zwischen den Fingern hindurch und lief über den Handrücken hinunter.
    Nach einer langen Weile nickte Shehyn. Die Anspannung fiel von mir ab, und erst jetzt kehrte der Wind zurück.

Kapitel 124

Über Namen
     
    A lso«, sagte Vashet, als wir durch die Hügel gingen, »du bist mir wirklich ein großer Schauspieler und Aufschneider, weißt du das?«
    Ich neigte leicht den Kopf zu ihr hin und bekundete mit einer Handbewegung meine
ergebene Zustimmung.
    Sie gab mir einen Klaps an die Schläfe. »Hör schon auf mit dem Theater, du Schmierenkomödiant. Die anderen kannst du hereinlegen, aber mich nicht.«
    Dann legte sie sich eine Hand an die Brust, als wollte sie mir den neuesten Klatsch anvertrauen. »Habt ihr schon gehört, was Kvothe vom Schwertbaum mitgebracht hat? Dinge, die ein Barbar nicht verstehen kann: Schweigen und Ruhe, das Herz von Ademre. Und was hat er Shehyn dargebracht? Die Bereitschaft, für die Schule zu bluten.«
    Sie sah mich zwischen Empörung und Belustigung hin- und hergerissen an. »Im Ernst, du kommst mir vor wie jemand aus einem Märchen.«
    Ich bekundete mit einigen Gebärden meine
freundliche, höflichst geschmeichelte Zustimmung
.
    Vashet streckte die Hand aus und schnippte mit dem Finger schmerzhaft an mein Ohr.
    »Au!« Ich musste lachen. »Gut. Aber wage es nicht, mir Schauspielerei vorzuwerfen. Was führt ihr denn in einem fort auf? Ihr mit eurer Stille, den blutroten Kleidern, der verborgenen Sprache, den vielen Geheimnissen. Es ist geradezu, als ob euer Leben eine einzige Pantomime wäre.« Ich erwiderte ihren Blick. »In jeder Beziehung.«
    »Jedenfalls hast du Shehyn beeindruckt«, sagte Vashet. »Das ist das Wichtigste. Und zwar so, dass die anderen Schulleiter nicht allzu viel klagen können, was das Zweitwichtigste ist.«
    Wir waren an unserem Ziel angekommen, einem niedrigen Gebäude mit drei Zimmern. Daneben stand ein aus Brettern gezimmerter Ziegenstall. »Hier wohnt jemand, der deine Hand versorgen kann«, sagte Vashet.
    »Warum gehen wir nicht zur Apothekerin?«, fragte ich.
    »Sie ist eng mit Carcerets Mutter befreundet«, erwiderte Vashet. »Und ich würde sie nicht um Gold nach deinen Händen sehen lassen.« Sie wies mit einem Kopfnicken auf das Haus vor uns. »Mit einer Verletzung würde ich sowieso lieber zu Daeln gehen.«
    Sie klopfte an die Tür. »Du magst Mitglied der Schule sein, aber vergiss nicht, dass ich immer noch deine Lehrerin bin und weiß, was für dich am besten ist.«
     
    Später saßen Vashet und ich bei Shehyn. Ich trug einen festen Verband an meiner Hand. Wir saßen in einem Zimmer, in dem ich noch nie gewesen war und das kleiner war als die Zimmer, in denen wir über Lethani gesprochen hatten. In ihm standen ein kleiner, unaufgeräumter Schreibtisch, eine Vase mit einigen Blumen und etliche bequeme Sessel. An der Wand hing ein Bild von drei Vögeln vor einem Sonnenuntergang, allerdings nicht gemalt, sondern aus Tausenden kleiner, leuchtend bunt glasierter Steinchen zusammengesetzt. Offenbar befanden wir uns

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