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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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beginnt man schnell zu schwitzen und gerät in Panik …
    Aber ich war nicht allein, und nicht nur Vashet und Shehyn sahen mir zu, sondern ein Dutzend Söldner und die Leiter anderer Schulen. Ich hatte ein Publikum und stand auf einer Bühne. Und nirgends auf der Welt fühle ich mich mehr zu Hause als auf einer Bühne.
    Ich trat vor die Enden der längsten Äste und wartete darauf, dass sie sich beruhigten und sich für einen kurzen Moment eine Schneise auftat, durch die ich rennen konnte. Blätter, die mir zu nahe kamen, würde ich zur Seite schlagen, mein Gesicht würde ich durch einen Wasserfächer vor ihnen schützen.
    Ich stand also am Rand des Blätterdachs, wartete auf meine Gelegenheit und versuchte im Voraus zu erkennen, wie die Äste sich bewegen würde. Der Anblick der kreiselnden Blätter machte mich wie schon so oft zuvor schläfrig.
    Eingelullt von ihrer Bewegung spürte ich unwillkürlich, wie sich in meinem Bewusstsein der durch Klarheit und Leere bestimmte schwebende Zustand des Kreiselnden Blattes ausbreitete. Ich begriff auf einmal, dass die Bewegungen des Baumes nicht zufällig waren, sondern einem Muster folgten, das sich aus weiteren unaufhörlich sich verändernden Mustern zusammensetzte.
    Und mit meinem offenen, leeren Bewusstsein sah ich den Wind vor mir ausgebreitet wie Frost, der eine leere Glasscheibe überzieht. Dort, wo eben noch nichts gewesen war, sah ich im nächsten Moment den Namen des Windes so deutlich wie den Rücken meiner Hand.
    Staunend ließ ich meinen Blick darüberwandern. Ich schmeckte seine Gestalt auf der Zunge und wusste, dass ich ihn zu einem Sturm entfesseln konnte, wenn ich wollte. Ich konnte ihn aber auch bis zu einem Flüstern besänftigen, bis die Blätter des Baumes bewegungslos herunterhingen.
    Doch das schien mir der falsche Weg zu sein. Stattdessen machte ich die Augen weit auf und beobachtete genau, wohin der Wind die Äste wehte und in welche Richtung er die Blätter schlug.
    Dann trat ich so ruhig unter das Laub, als ginge ich durch meine eigene Haustür. Ich machte zwei Schritte und blieb stehen, während zwei Blätter vor mir durch die Luft schnitten. Als Nächstes trat ich zur Seite und wieder einen Schritt vor, während der Wind hinter mir einen anderen Ast durch die Luft schlug.
    So bewegte ich mich durch die tanzenden Äste des Schwertbaums. Ich rannte nicht und schlug auch nicht in Panik mit den Händen nach ihnen, sondern wählte meine Schritte sorgsam und mit Bedacht. Genauso bewegte sich Shehyn beim Kämpfen, fiel mir ein.Nicht schnell, obwohl sie sehr schnell sein konnte, aber immer so, dass sie genau an der richtigen Stelle stand.
    Noch bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich auf der schwarzen Erde, die den dicken Stamm umgab. Hier konnten mich die kreiselnden Blätter nicht erreichen, und ich war deshalb vorerst sicher. Meine Anspannung ließ nach, und ich wandte mich den Gegenständen zu, die dort auf mich warteten.
    Das Schwert, das ich bereits vom Rand der Lichtung aus gesehen hatte, war mit einer weißen Seidenschnur an den Stamm gebunden. Es war zur Hälfte aus der Scheide gezogen und die Klinge sah der von Vashets Schwert sehr ähnlich. Das Metall glänzte in einem merkwürdigen Grau und hatte keinerlei Schrammen.
    Auf einem kleinen Tischchen neben dem Stamm lagen ein ordentlich zusammengefaltetes rotes Hemd, wie ich es schon kannte, daneben ein Pfeil mit einer reinweißen Befiederung und ein zylindrisches Gefäß aus poliertem Holz, wie man es zur Aufbewahrung einer Schriftrolle verwendet.
    Aus den Augenwinkeln sah ich etwas funkeln und bei näherem Hinsehen entdeckte ich zwischen zwei Wurzeln auf der schwarzen Erde einen dicken Goldbarren. War er aus echtem Gold? Ich bückte mich und berührte ihn. Er fühlte sich kalt an und war so schwer, dass ich ihn nicht mit einer Hand heben konnte. Wie viel mochte er wiegen? Zwanzig Kilo? Fünfundzwanzig? Mit ihm konnte ich für alle Ewigkeit an der Universität bleiben, selbst wenn die Gebühren noch so unverschämt erhöht wurden.
    Langsam umrundete ich den Stamm. An einem niedrigen Ast hing flatternd ein Seidentuch. Ein zweites, gewöhnlicheres Schwert steckte ebenfalls in der um den Stamm gewickelten Seidenschnur. Drei blaue Blumen waren mit einem blauen Band zusammengebunden. Es folgten ein angelaufener Halbpenny aus Vintas und ein langer, flacher Schleifstein, der vom Öl ganz dunkel war.
    Ich war auf der anderen Seite des Baumes angelangt. Dort lehnte mein Lautenkasten am

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