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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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Stamm.
    Offenbar war jemand in meinem Zimmer gewesen und hatte ihn unter dem Bett hervorgeholt. Ich war auf einmal schrecklich wütend. Zu allem Überfluss wusste ich ja auch noch, was die Adem von Musikantenhielten. Sie wussten jetzt also, dass ich nicht nur ein Barbar war, sondern auch eine billige Hure. Der Kasten stand da, um mich zu verhöhnen.
    Schon einmal hatte ich den Namen des Windes in schrecklichem Zorn gerufen, damals in Imre, als Ambrose meine Laute zerbrochen hatte. Und ich hatte ihn in Panik und Raserei gerufen, um mich gegen Felurian zu wehren. Diesmal dagegen war er nicht in Folge einer starken Erregung zu mir gekommen, sondern ich hatte ihn behutsam eingefangen, so wie man einen vorbeischwebenden Distelsamen mit der Hand einfängt.
    Beim Anblick meiner Laute schreckte mich nun ein Durcheinander heftiger Gefühle abrupt aus dem Zustand des Kreiselnden Blattes. Ich kam mir vor wie ein Spatz, der von einem Stein getroffen wurde. Der Name des Windes zerstob in lauter kleine Fetzen, und ich blieb leer und blind zurück. Ich konnte in den wie verrückt tanzenden Blättern kein Muster mehr erkennen, nur tausend vom Wind durcheinandergewirbelte Blätter, die wie Rasierklingen durch die Luft schnitten.
    Nach Beendigung meines langsamen Rundgangs um den Baum spürte ich die Angst wie einen Knoten im Magen. Dass meine Laute am Stamm lehnte, machte mir eines klar: Es konnte sich hinter jedem der hier versammelten Gegenstände eine mir gestellte Falle verbergen.
    Wie Vashet gesagt hatte, ging es bei der Prüfung nicht nur darum, was ich vom Baum mitbrachte, sondern auch um das Wie, und was ich im Anschluss damit tat. Wenn ich also den schweren, unhandlichen Goldbarren holte, obwohl es gefährlich war, und ihn Shehyn überreichte, zeigte das dann meine Bereitschaft, Geld für die Schule zu verdienen? Oder zeugte es nur von meiner Gier?
    Dasselbe galt für alles andere. Wenn ich das rote Hemd wählte, konnte das bedeuten, dass ich mir das Privileg verdienen wollte, es zu tragen, oder aber, dass ich mir etwas anmaßte, was mir nicht zustand. Dasselbe galt erst recht für das Schwert. Es war für die Adem bestimmt so kostbar wie ein Kind.
    Ich ging noch einmal langsam um den Baum und tat so, als überlegte ich, während ich in Wirklichkeit nur Zeit gewinnen wollte.Nervös ließ ich den Blick ein zweites Mal über die Gegenstände wandern. Auch ein kleines Buch mit einem Schloss aus Messing lag dort, eine Spindel mit einem grauen Wollfaden und ein glatter, runder Stein auf einer sauberen weißen Decke.
    Jede Wahl, die ich traf, konnte vielfältig gedeutet werden. Ich wusste nicht annähernd genug über die Kultur der Adem, um die Bedeutung der jeweiligen Gegenstände bestimmen zu können.
    Und selbst wenn ich es gekonnt hätte, hätten mich die Blätter ohne die Führung durch den Namen des Windes beim Hinausgehen übel zugerichtet. Sie hätten mich vielleicht nicht verstümmelt, aber doch so sehr zerschnitten, dass alle sehen konnten, dass ich ein ungeschickter Barbar war, der nicht hierher gehörte.
    Mein Blick fiel wieder auf den Goldbarren. Wenn ich ihn wählte, konnte sein Gewicht mir wenigstens als Entschuldigung für mein Ungeschick beim Rückweg dienen. Vielleicht konnte ich insgesamt trotzdem eine gute Vorstellung abliefern …
    Nervös umrundete ich den Baum ein drittes Mal. Ich spürte, wie der Wind wieder zunahm und die Äste über mir stärker schwankten. Der Wind trocknete den Schweiß auf meinem Körper, und ich begann zu frösteln.
    Da begann inmitten der ganzen Aufregung plötzlich meine Blase furchtbar zu drücken, was meine Aufmerksamkeit vollkommen in Anspruch nahm. Meine Körperfunktionen kümmerte der Ernst der Lage offenbar nicht. Ich verspürte den übermächtigen Drang, mich zu erleichtern.
    So kam es, dass ich inmitten des Sturms der Messer und meiner Prüfung und Bewährungsprobe überlegte, ob ich vor den Augen zweier Dutzend stolzer und gefährlicher Söldner an den Stamm des heiligen Schwertbaums pinkeln sollte.
    Die Vorstellung war so entsetzlich peinlich, dass ich laut herauslachte. Und mit dem Lachen legte sich die Anspannung, die ich im Magen und in den Muskeln meines Rückens spürte. Egal welche Entscheidung ich traf, gegen den Latantha durfte ich jedenfalls nicht pinkeln.
    Meine Wut war verraucht, die Angst hielt mich nicht länger im Griff, und ich betrachtete das aufgewühlte Laub um mich.
    Wenn der Name des Windes mich bei früheren Gelegenheiten verlassen hatte, war er

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