Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
wird, meinst du? Bocksklette.«
»Wirklich? Nicht Pfeilwurz?«
»Pfeilwurz«, schnaubte sie. Sie legte Holz nach und zog den inzwischen dampfenden Kessel vom Feuer weg. »Hast du es je mit Pfeilwurz versucht?«
»Nein«, gestand ich.
»Dann kann ich es dir ersparen, jemanden damit umzubringen.« Sie holte zwei hölzerne Becher. »Pfeilwurz nützt nichts. Man kann sie essen, wenn man will, aber das ist auch schon alles.«
»Aber eine Salbe aus Pfeilwurz und Bessamy ist angeblich ideal.«
»Bessamy könnte helfen«, gab sie zu. »Aber Bocksklette ist besser. Noch lieber wäre mir Rotblatt, aber man kann nicht immer haben, was man will. Ich verwende eine Salbe aus Mutterblatt und Bocksklette und du siehst ja, es geht ihm gut. Pfeilwurz ist natürlich leicht zu finden und ergibt einen glatten Brei, aber es hat keine nützlichen Eigenschaften.«
Sie schüttelte den Kopf. »Man kann Pfeilwurz mit Kampfer, mit Bessamy oder mit Salzranke mischen. Pfeilwurz selbst hat keinerleilindernde Eigenschaften, es taugt nur als Trägermasse für andere Heilmittel.«
Ich wollte schon protestieren, doch dann fiel mein Blick auf die Kräuter an den Wänden und das Exemplar der
Heroborica
, und ich machte den Mund wieder zu.
Gran schenkte aus dem Kessel heißes Wasser in die beiden Becher. »Setz dich doch«, sagte sie. »Du siehst aus, als würdest du selbst gleich umfallen.«
Ich betrachtete sehnsüchtig einen Stuhl. »Ich sollte wahrscheinlich zu den anderen zurück«, sagte ich.
»Für einen Becher hast du Zeit.« Gran nahm mich am Arm und drückte mich entschieden auf den Stuhl. »Und für eine Kleinigkeit zu essen. Du bist so bleich wie ein getrockneter Knochen, und ich habe hier einen Kuchen, den bisher noch niemand essen wollte.«
Ich überlegte, ob ich überhaupt etwas zu Mittag gegessen hatte. Den Mädchen hatte ich etwas gemacht … »Ich will dir nicht noch mehr Arbeit machen«, sagte ich. »Einige habe ich ja schon gemacht.«
»Es war Zeit, dass jemand diesem Burschen den Arm bricht«, meinte sie unbekümmert. »Ein Schandmaul, wie’s im Buche steht.« Sie reichte mir einen hölzernen Becher. »Trink das, ich hole inzwischen den Kuchen.«
Der Dampf, der von dem Becher aufstieg, roch köstlich. »Was ist da drin?«, fragte ich.
»Hagebutte und ein Apfelschnaps, den ich selber brenne.« Sie lächelte breit, und um ihre Augen erschienen kleine Fältchen. »Wenn du willst, kann ich auch noch etwas Pfeilwurz dazutun.«
Ich lächelte und nippte an dem Getränk. Es breitete sich heiß in mir aus, und meine Anspannung, die ich seltsamerweise bisher gar nicht bemerkt hatte, ließ ein wenig nach.
Gran eilte geschäftig im Zimmer herum, stellte schließlich zwei Teller auf den Tisch und setzte sich ebenfalls.
»Du hast diese Banditen wirklich getötet?«, fragte sie unvermittelt. Sie klang nicht anklagend, es war nur eine Frage.
Ich nickte.
»Du hättest es wohl besser niemandem gesagt«, meinte sie. »Bestimmtgibt es jetzt eine große Aufregung. Man wird nach einem Prozess rufen und den Richter von Temsford zuziehen müssen.«
»Ich habe es nicht gesagt«, erwiderte ich. »Das war Krin.«
»Aha.«
Es entstand eine Pause. Ich trank den letzten Schluck, doch als ich den Becher auf dem Tisch abstellen wollte, zitterten meine Hände so heftig, dass ich ihn auf das Holz schlug. Es klang, als klopfe ein ungeduldiger Besucher an die Tür.
Gran nippte seelenruhig an ihrem Becher.
»Ich will nicht darüber sprechen«, sagte ich endlich. »Ich habe etwas Schlimmes getan.«
»Nicht alle würden das so sehen«, sagte Gran freundlich. »Ich glaube, dass du richtig gehandelt hast.«
Ich spürte auf einmal ein brennendes Ziehen hinter den Augen, als würde ich gleich in Tränen ausbrechen. »Da bin ich mir nicht so sicher«, sagte ich. Meine Stimme klang ganz fremd, und meine Hände zitterten noch heftiger.
Gran schien darüber nicht überrascht. »Du hast einige anstrengende Tage hinter dir, nicht wahr?« Ihr Ton machte deutlich, dass es sich nicht um eine Frage handelte. »Ich sehe es dir an. Du hattest alle Hände voll zu tun, hast die Mädchen versorgt, nicht geschlafen und wahrscheinlich auch kaum etwas gegessen.« Sie schob mir den Teller hin. »Iss den Kuchen, das wird dir gut tun.«
Ich aß. Als ich die Hälfte gegessen hatte, begann ich zu weinen und hätte mich beinahe verschluckt.
Gran schenkte mir Tee nach und fügte einen zusätzlichen Schluck Schnaps hinzu. »Trink das aus«, wiederholte sie.
Ich nahm
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