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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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lang durch die Stadt, schaute in ein paar altbekannten Pensionen und Wirtshäusern vorbei, in zwei oder drei öffentliche Gärten und bei einer Bank unter einem Baum auf einem Hof. Deoch hatte mir gesagt, dass er Denna seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Doch sogar nach ihr zu suchen und sie nicht zu finden war in gewisser Weise tröstlich. In mancher Hinsicht schien das die Quintessenz unseres Verhältnisses zu sein.

     
    Später an diesem Abend stieg ich aufs Hauptgebäude hinauf und bahnte mir meinen Weg durch das altvertraute Labyrinth aus Schornsteinen und Dachabschnitten aus Schiefer, Ziegeln und Zinnblech. Als ich um eine Ecke bog, sah ich Auri auf einem Schornstein sitzen. Ihr langes, feines Haar schwebte ihr um den Kopf, als wäre sie unter Wasser. Sie blickte zum Mond empor und ließ ihre nackten Füße baumeln.
    Ich räusperte mich dezent, und sie sah sich zu mir um. Sie sprang von dem Schornstein herab, huschte übers Dach und blieb ein paar Schritte vor mir stehen. Ihr Lächeln strahlte heller als der Mond. »In Grillistan lebt jetzt eine ganze Igelfamilie!«, sagte sie aufgeregt.
    Sie kam noch zwei Schritte näher und nahm mit beiden Händen meine Hand. »Die Jungen sind winzig!« Sie zog mich sacht. »Kommst du dir das ansehen?«
    Ich nickte, und Auri führte mich über das Dach zu dem Apfelbaum, an dem wir in den Hof hinabklettern konnten. Dort unten angelangt, sah sie zu dem Baum hinauf und dann auf meine gebräunte Hand hinab, die sie nun wieder in ihren weißen Händchen hielt. Ihr Griff war fest, und sie schien nicht so schnell wieder loslassen zu wollen.
    »Du hast mir gefehlt«, sagte sie leise, ohne hochzusehen. »Geh nicht wieder weg.«
    »Ich habe nicht vor, wieder wegzugehen«, sagte ich sacht. »Dafür habe ich hier viel zu viel zu tun.«
    Auri neigte den Kopf seitwärts und spähte durch ihre Haarwolke zu mir hoch. »Wie zum Beispiel mich zu besuchen?«
    »Wie zum Beispiel dich zu besuchen.«

Kapitel 143

Der Blutlose
     
    E ine letzte Überraschung erwartete mich noch bei meiner Rückkehr an die Universität.
    Ich war schon ein paar Tage wieder da, als ich schließlich an meinen Arbeitsplatz im Handwerkszentrum zurückkehrte. Zwar brauchte ich das Geld nicht mehr unbedingt, aber die Arbeit fehlte mir. Mit eigenen Händen etwas herzustellen hat etwas zutiefst Befriedigendes. Ein gutes Werkstück gleicht einem guten Lied. Es ist ein Schöpfungsakt.
    So ging ich also ins dortige Lager und wollte mit etwas Leichtem beginnen, da ich ja aus der Übung war. Als ich ans Fenster trat, sah ich ein altbekanntes Gesicht. »Hallo, Basil«, sagte ich. »Was hast du denn diesmal ausgefressen, dass du hier Dienst schieben musst?«
    Er blickte zu Boden. »Unsachgemäßer Gebrauch von Reagenzien«, murmelte er.
    Ich lachte. »Na, das ist ja nicht so schlimm. Dann bist du ja in ein oder zwei Spannen wieder hier raus.«
    »Ja.« Er sah mich an und lächelte ein wenig betreten. »Ich hab schon gehört, dass du wieder da bist. Kommst du wegen deines Guthabens?«
    Ich stutzte. »Wie bitte?«
    Basil neigte den Kopf seitwärts. »Dein Guthaben«, sagte er. »Für den Blutlosen.« Er sah mich einen Moment lang an, und dann dämmerte es ihm. »Ach so, du weißt ja noch gar nichts davon.« Er verschwand kurz und kam dann mit einem Gegenstand wieder, der wie eine achtseitige Eisen-Laterne aussah.
    Dieser Pfeilfänger war anders als der, den ich gebaut hatte. Meiner war ein Prototyp gewesen und hatte Ecken und Kanten gehabt. Dieser war makellos und elegant. Die Einzelteile fügten sich perfekt ineinander, und das Gehäuse war mit einer dünnen, klaren Schicht aus alchemischer Emaille überzogen, die das Gerät vor Regen wie vor Rost schützen würde. Eine clevere Idee, auf die ich eigentlich auch selbst hätte kommen können.
    Einerseits war ich geschmeichelt, dass jemandem meine Konstruktion so gut gefiel, dass er sie kopiert hatte, hauptsächlich aber war ich verstimmt, einen Pfeilfänger zu sehen, der viel ausgefeilter wirkte als mein Original. Ich bemerkte die verräterische Ebenmäßigkeit der Einzelteile. »Hat etwa jemand Gussformen dafür angefertigt?«, fragte ich.
    Basil nickte. »Ja klar. Schon vor einer Ewigkeit. Gleich zwei vollständige Sätze.« Er lächelte. »Ich muss schon sagen, das ist ein cleveres Ding. Ich hab ’ne Weile gebraucht, um zu kapieren, wie der Auslöser funktioniert, aber seitdem ich das verstanden habe …« Er tippte sich an die Stirn. »… habe ich selbst auch schon zwei

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