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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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falsch. Wölfe und Hunde sind eng verwandt. Beide heulen nachts und beißen, wenn man sie schlägt.
    Aber wir Menschen und die Fae sind so verschieden wie Wasser und Alkohol. In Gläser gefüllt sieht beides gleich aus: durchsichtig und flüssig. Doch Alkohol brennt, Wasser nicht, unabhängig von derTemperatur. Beide Substanzen verhalten sich unterschiedlich, weil sie grundsätzlich voneinander verschieden sind.
    Dasselbe gilt auch für die Menschen und die Fae. Wir vergessen es auf eigene Gefahr.

Kapitel 100

Shaed
     
    I ch sollte vielleicht auf einige Eigenheiten der Fae gesondert hinweisen.
    An Felurians Lichtung fiel auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches auf. Sie schien in einem uralten Wald zu liegen, den kein Mensch je betreten hatte. Wenn nicht die unbekannten Sterne am Himmel gewesen wären, hätte ich vermutet, dass ich mich nach wie vor in einer abgeschiedenen Gegend des Eld aufhielt.
    Doch es gab Unterschiede. Seit der Trennung von meinen Gefährten hatte ich etwa ein Dutzend Mal geschlafen. Dennoch zeigte der Himmel über Felurians Laube bei jedem Erwachen dasselbe tiefe, violett getränkte Blau eines Sommerabends und änderte sich nie.
    Ich hatte nur eine ganz ungefähre Vorstellung davon, wie lange ich schon hier war. Entscheidender noch: Ich hatte keine Ahnung, wieviel Zeit inzwischen in der Welt der Sterblichen vergangen war. In vielen Märchen schlafen Knaben im Feenreich ein und wachen erst als alte Männer wieder auf. Umgekehrt gehen Mädchen in den Wald, und wenn sie Jahre später zurückkehren, sehen sie nicht älter aus und behaupten, nur einige Minuten fort gewesen zu sein.
    Vielleicht vergingen jedes Mal, wenn ich in Felurians Armen einschlief, Jahre. Vielleicht stellte ich bei meiner Rückkehr fest, dass hundert Jahre vergangen waren. Oder aber überhaupt keine Zeit.
    Aber daran wollte ich nicht denken. Nur ein Narr sorgt sich um Dinge, die er nicht ändern kann.
    Und noch etwas war anders im Reich der Fae, es war allerdings viel weniger greifbar und ist deshalb schwerer zu beschreiben.
    In der Mediho hatte ich viel Zeit mit bewusstlosen Patienten verbracht.Ich erwähne das aus einem bestimmten Grund: Es ist ein großer Unterschied, ob man in einem leeren Zimmer ist oder in einem Zimmer, in dem jemand schläft. Eine Person, die schläft, ist trotzdem anwesend. Sie nimmt einen wahr, wenn auch auf eine unbestimmte, vage Art.
    Genauso erging es mir bei den Fae. Ich bemerkte es nur zunächst lange nicht, weil es so schwer zu fassen war. Und als ich es dann bemerkte, brauchte ich noch eine ganze Weile, bis ich den Unterschied benennen konnte.
    Ich hatte das Gefühl, als sei ich aus einem leeren Zimmer in ein Zimmer getreten, in dem jemand schlief. Natürlich war da niemand. Aber ich hatte das Gefühl, als sei die ganze Umgebung in einen tiefen Schlaf versunken, die Bäume, die Felsen und der Bach, der in Felurians Teich mündete. All diese Dinge fühlten sich irgendwie körperlicher und präsenter an, als ich es gewohnt war, so als spürten sie auf eine unbestimmte Art und Weise meine Anwesenheit.

     
    Die Vorstellung, dass ich das Reich der Fae lebend und ungebrochen verlassen würde, war für Felurian ungewohnt, und ich spürte, dass sie ihr zu schaffen machte. Sie wechselte oft mitten im Gespräch über etwas ganz anderes das Thema und ließ mich ihr fest versprechen, dass ich zu ihr zurückkehren würde.
    Ich versicherte es ihr nach Kräften, aber man kann dasselbe nicht auf beliebig viele Arten sagen. Nachdem ich es ihr drei Dutzend Mal versprochen hatte, sagte ich: »Ich werde gut auf mich aufpassen, damit ich wohlbehalten zu dir zurückkehre.«
    Ihre Miene wurde ängstlich und dann grimmig und zuletzt nachdenklich. Ich fürchtete schon, sie könnte mich nun doch als menschlichen Schoßhund behalten wollen, und machte mir Vorwürfe, dass ich nicht geflohen war, solange ich noch konnte.
    Doch bevor meine Sorgen überhand nehmen konnten, legte Felurian den Kopf schräg und schien das Thema zu wechseln. »braucht mein liebster eine jacke? einen mantel?«
    »Ich besitze schon einen«, antwortete ich und zeigte auf meineHabseligkeiten, die am Rand der Laube auf dem Boden verstreut lagen. Erst jetzt bemerkte ich, dass der verschlissene Mantel des Kesslers fehlte. Ich sah meine anderen Kleider, die Stiefel und den Reisesack, der immer noch mit der Kassette des Maer prall gefüllt war. Mantel und Schwert waren dagegen verschwunden. Dass ich ihr Fehlen bisher nicht bemerkt hatte, war

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