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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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trotzdem kaum zu erkennen. Felurians schlanker Leib schwebte wie ein silberner Schatten durch die Nacht.
    Die Bäume wurden immer größer und dicker und verdrängten das bleiche Sternenlicht nach und nach. Zuletzt wurde es ganz dunkel. Felurian war nur ein heller Schemen vor mir. Sie blieb stehen, bevor ich sie aus den Augen verlor, und legte die Hände an den Mund, als wollte sie etwas rufen.
    Beim Gedanken an einen Schrei inmitten der Stille und Geborgenheit dieses Ortes überlief es mich abwechselnd heiß und kalt. Doch der Schrei blieb aus, ich hörte nichts. Oder doch, ich hörte etwas, eine Art leises Schnurren, allerdings längst nicht so laut und rauh wie das Schnurren einer Katze, sondern eher wie das Geräusch eines heftigen Schneetreibens, eine gedämpfte Stille, die fast noch leiser war als gar kein Geräusch.
    Felurian schnurrte einige Male so. Dann fasste sie mich an der Hand, führte mich noch tiefer in das Dunkel und wiederholte das seltsame, kaum hörbare Geräusch. Beim dritten Mal war es so dunkel, dass ich auch von Felurian nichts mehr sah.
    Nach einer letzten Pause drückte Felurian sich im Dunkeln an mich und gab mir einen langen, tiefen Kuss. Ich erwartete schon mehr, da löste sie sich wieder von mir. »leise«, flüsterte sie mir ins Ohr. »sie kommen.«
    Ich lauschte eine Weile angestrengt und versuchte mit den Augen das Dunkel zu durchdringen, doch vergeblich. Dann sah ich in einigerEntfernung einen hellen Punkt. Im nächsten Moment war er wieder verschwunden, und ich glaubte schon, meine nach Licht hungernden Augen hätten mir einen Streich gespielt. Dann sah ich den Punkt wieder und außerdem noch zwei weitere Punkte. Zuletzt tanzten an die hundert schwach fluoreszierende Punkte zwischen den Bäumen auf uns zu.
    Ich hatte schon von Irrlichtern gehört, aber noch nie eins gesehen. Auch glaubte ich nicht, dass es sich hier um eine so profane Erscheinung handelte, schließlich befanden wir uns im Reich der Fae. Ich ging in Gedanken ein Märchen nach dem anderen durch. Welche Wesen verbargen sich hinter diesen wie verrückt tanzenden Fünkchen? Irrwische? Dennerlinge mit Laternen voller Totenlicht?
    Auf einmal umgaben uns zu meinem Schrecken die Punkte von allen Seiten. Sie waren kleiner, als ich gedacht hatte, und näher. Wieder hörte ich das leise Schneeflockengeräusch, diesmal aus allen Richtungen. Ich hatte immer noch keine Ahnung, um was es sich handelte, bis eins der Wesen federleicht meinen Arm streifte. Es musste eine Art Motten sein, Motten mit fluoreszierenden Flecken auf den Flügeln.
    Sie verströmten einen schwachen, silbrigen Schein. Der Schein einer Motte allein hätte das Dunkel nicht durchdringen können. Doch sie tanzten zu Hunderten zwischen den Stämmen, und in ihrem gesammelten Licht konnte ich die Umrisse unserer Umgebung erkennen. Einige der Wesen ließen sich auf Bäumen oder auf dem Boden nieder, andere landeten auf Felurian. Zwar sah ich von ihr nach wie vor nur ein wenig helle Haut, doch mit Hilfe der Lichtpunkte konnte ich ihr leichter folgen.
    Wir gingen wieder ein längeres Stück zwischen den alten Bäumen hindurch. Felurian ging voran. Einmal spürte ich statt des Mooses Gras unter meinen bloßen Füßen, dann wieder weiche Erde, als überquerten wir ein frisch gepflügtes Feld. Eine Zeitlang folgten wir einem gewundenen, mit glatten Steinen belegten Weg, der über den Bogen einer hohen Brücke führte. Beharrlich folgten uns die Motten.
    Schließlich blieb Felurian stehen. Inzwischen war die Dunkelheit so undurchdringlich, dass ich sie um mich spürte wie eine warmeDecke. Aus dem Wehen des Windes in den Bäumen und den Bewegungen der Motten schloss ich, dass wir auf einer freien Fläche standen.
    Über uns waren keine Sterne. Wenn wir uns auf einer Lichtung befanden, mussten die Bäume riesige Äste haben, die sich über unseren Köpfen berührten. Genauso gut hätten wir für mein Gefühl an einem Ort tief unter der Erde sein können. Oder der Himmel war in diesem Teil des Reichs der Fae schwarz und leer, ein seltsam beunruhigender Gedanke.
    Das unterschwellige Gefühl einer schlafenden Präsenz war hier stärker. Hatte ich bisher das Gefühl gehabt, dass meine Umgebung schlief, war mir hier, als hätte sie sich soeben bewegt und stehe kurz davor aufzuwachen. Auch das beunruhigte mich.
    Felurian drückte mit der flachen Hand sanft gegen meine Brust und legte mir dann einen Finger an die Lippen. Dann entfernte sie sich einige Schritte. Dabei summte sie

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