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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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verständlich, schließlich hatte ich seit dem ersten Erwachen an der Seite Felurians keine Kleider mehr angehabt.
    Felurian betrachtete mich eingehend. Ihr Blick verweilte auf meinen Knien und den Unter- und Oberarmen. Erst als sie mich an der Schulter nahm und umdrehte, so dass sie auch meinen Rücken begutachten konnte, begriff ich, dass sie sich meine Narben ansah.
    Sie fasste mich an der Hand und fuhr damit eine helle Linie auf meinem Unterarm entlang. »du scheinst aber nicht besonders gut auf dich aufzupassen, mein kvothe.«
    Ich war ein wenig gekränkt, zumal sie mit ihrer Bemerkung mehr als nur ein wenig recht hatte. »Ich komme zurecht«, erwiderte ich steif. »Schließlich hatte ich auch mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen.«
    Felurian drehte meine Hand um und betrachtete aufmerksam die Innenfläche und die Finger. »du bist kein krieger«, murmelte sie abwesend, »trotzdem bist du mit verletzungen übersät. du bist ein lieblich singender vogel, der nicht fliegen kann. ohne bogen, messer und kette.«
    Sie fasste mit der Hand an meinen Fuß und fuhr nachdenklich über die Schwielen und Narben, die ich mir auf den Straßen von Tarbean eingehandelt hatte. »du wanderst viel, du findest mich nachts im wald. du weißt vieles und bist mutig und jung und gerätst deshalb oft in schwierigkeiten.«
    Sie sah mich forschend an. »hätte mein lieber dichter gern einen
shaed?«
    »Einen was?«
    Sie machte eine Pause, als müsste sie überlegen. »einen schatten.«
    Ich lächelte. »Den habe ich doch schon.« Ich vergewisserte mich mit einem kurzen Blick. Schließlich befand ich mich im Reich der Fae.
    Felurian runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf über meineBegriffsstutzigkeit. »einem anderen würde ich einen schild geben, der ihn vor schaden beschützt, oder einen bernstein, eine verzauberte schwertscheide oder eine krone, damit die menschen ihm mit wohlwollen begegnen.«
    Sie schüttelte ernst den Kopf. »aber nicht dir, nicht einem nächtlichen wanderer und gefolgsmann des mondes. dich muss man vor eisen, kälte und hass schützen. du musst leise sein, und leichtfüßig, du musst lautlos durch die nacht gehen und schnell sein, und du musst furchtlos sein.« Sie nickte wie zu sich selbst. »das heißt, du brauchst einen
shaed

    Sie stand auf und ging auf den Wald zu. »komm mit«, sagte sie.
    Felurian hatte eine ungewöhnliche Art, einen um etwas zu bitten. Ich hatte bereits festgestellt, dass ich ihren Bitten automatisch gehorchte, wenn ich mir nicht vorher bewusst vornahm, es nicht zu tun.
    Nicht dass sie mit einer solchen Autorität gesprochen hätte. Dazu war ihre Stimme zu weich und rund. Sie stellte keine Forderungen oder versuchte einen zu etwas zu überreden. Sie sprach mit der größten Selbstverständlichkeit, als könne sie sich nicht vorstellen, dass jemand etwas anderes tun wollte als das, was sie sagte.
    Als sie mich aufforderte, ihr zu folgen, sprang ich deshalb auf wie eine Marionette, an deren Fäden gezogen wird. Splitterfasernackt lief ich neben ihr her durch den dämmrigen, alten Wald.
    Fast wäre ich noch einmal umgekehrt, um meine Kleider zu holen, doch dann folgte ich einem Rat, den mein Vater mir gegeben hatte, als ich klein war. »Andere Menschen haben andere Gepflogenheiten«, hatte er gesagt. »Wenn du nicht auffallen willst, passe dich an.« Andere Länder, andere Sitten.
    Ich folgte Felurian also nackt und unvorbereitet. Sie schlug ein schnelles Tempo an. Das Moos dämpfte das Geräusch unserer bloßen Füße.
    Im Wald wurde es immer dunkler. Zuerst glaubte ich, die Äste über unseren Köpfen seien schuld daran, doch dann erkannte ich die Wahrheit. Am dämmrigen Himmel zog die Nacht herauf. Schließlich war auch der letzte violette Schein verschwunden, und über uns wölbte sich nur noch ein samtenes, von fremden Sternen gesprenkeltes Schwarz.
    Felurian ging unbeirrt weiter. Im Licht der Sterne sah ich ihre helle Haut und die Umrisse der Bäume unserer unmittelbaren Umgebung, sonst nichts. Ich stellte eine sympathetische Bindung für Licht her, was mir besonders schlau vorkam, und hielt die Hand wie eine Fackel über den Kopf. Die Bindung von Bewegung an Licht ist ohne Metall als Hilfsmedium nur sehr schwer herzustellen, ich war deshalb einigermaßen stolz auf meine Leistung.
    Es wurde hell und ich sah mehr von unserer Umgebung. Schwarze Baumstämme ragten wie mächtige Säulen um uns auf, so weit der Blick reichte. Es gab weder tiefhängende Äste noch Unterholz noch

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