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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Geröll und umgestürzte Baumstämme. Immerhin – ein Reiter konnte auf diesem Boden auch nicht schneller vorwärtskommen. Dieser Gedanke machte uns Mut.
    Oberhalb der Nebelgrenze gabelte sich die Schlucht in drei Arme. Ich entschied mich für den linken. Er schien mir der ›richtige‹ zu sein. Warum, hätte ich nicht sagen können. An einer Biegung schaute ich noch einmal in das Tal zurück.
    Wie Milch stand der Nebel zwischen den Bergflanken. Hier und da reckte sich eine Felsklippe oder ein besonders hoher Baumwipfel aus dem Dunst. Das Tal war erfüllt von den üblichen Geräuschen kletternder Pferde: Hufgeklapper, Schnaufen, erschrecktes Prusten, polternd rollende Steine. Mindestens zwanzig Reiter führten dort unten ihre Pferde bergan.
    Wir folgten dem Nebenarm um eine langgezogene Biegung herum. Hinter der vorspringenden Felswand rauschte ein stürzendes Wasser. Mit jedem Schritt wurde das Tosen lauter. Endlich hatten wir den Felsvorsprung umrundet, vor uns lag das Ende der Schlucht: mit hohen, glatten Felswänden rings umher. In hundert Schritt Entfernung schoß ein breites Band aus silberhellem Wasser lotrecht am Fels entlang, um sich schäumend in ein seeartiges Becken zu ergießen. Ein Abfluß war nicht zu sehen, also mußte das Wasser sich einen unterirdischen Weg gebahnt haben. Früher einmal war es gewiß durch das Tal geflossen, durch das wir hinaufgestiegen waren. Mitten in meine Überlegungen hinein erklang Viburns Stimme: »Arve, wir sitzen in der Falle.«
    Ich blickte an den Felswänden entlang und zurück in die Richtung, wo die Reiterinnen schon auf uns warteten. Eigentlich hätte ich Viburn rechtgeben müssen, aber mein Gefühl sagte mir noch immer, daß wir uns in der richtigen Schlucht befanden. Darum schwieg ich und lief zum Wasserfall hinüber, in der schwachen Hoffnung, wir könnten vielleicht denselben Weg benutzen, dem das Wasser folgte! Im Sprühnebel des Falles stand ich an dem Wasserbecken und versuchte, im Gestrudel der Luftblasen einen Abfluß zu entdecken. Ich fand ihn nicht – und selbst wenn: Wir hätten besser mit der Übermacht der Amazonen kämpfen können als uns der blinden Gewalt des Wassers auszuliefern. Wahrscheinlich wären wir alle nach wenigen Augenblicken zerschmettert worden. Ich zuckte die Schultern und wandte mich ab, um zu meinen Gefährten zurückzukehren, als mein Blick auf einen kleinen bestickten Beutel fiel. Das Säckchen lag auf einer schmalen Felskante, nur ein paar Schritte vom Wasserfall entfernt. Irgendwie kam es mir bekannt vor. Als ich es aufhob und unter meinem Griff leicht und knisternd getrocknete Kräuter spürte, hatte ich die Gewißheit: Die beiden kleinen Feilscher hatten solche Beutel bei sich getragen. Einer von ihnen mußte ihn verloren haben.
    »Kommt hierher, schnell!« rief ich meinen Freunden zu, aber das Brausen des Sturzbaches konnte ich nicht übertönen. Larix hatte jedoch beobachtet, daß ich etwas gefunden hatte. Er trieb die anderen in meine Richtung. Bald steckten wir die Köpfe zusammen und brüllten uns gegenseitig unsere Ratschläge ins Ohr. Larix nahm nicht daran teil. Er untersuchte die Felskante, auf der der Beutel gelegen hatte. Schließlich packte er mein Ohrläppchen und zog mein Ohr vor seinen Mund. »Hinter dem Wasserfall! Ein dunkler Spalt!« Er schob mich zur Felswand und zeigte ins Dunkel hinter dem Vorhang des stürzenden Wassers. Tatsächlich setzte sich die Felskante bis dorthin fort. Der Bach stürzte nicht unmittelbar vom Felsen ab, zwischen Wasser und Stein blieb ein kleiner Abstand, gut zwei Mannsbreit vielleicht. In der Felswand hinter dem Wasserfall klaffte ein Spalt, so schmal, daß ein Kind, vielleicht sogar ein erwachsener Mensch hindurchpassen mochte.
    Larix zögerte nicht lange. Er band sich ein Seil um den Leib, drückte das Ende Elgor in die Hand, stieg auf die Felskante und schob sich rücklings an der Wand entlang dem Spalt entgegen. Bald war er hinter dem Wasservorhang verschwunden. Ich beobachtete ihn von der Seite und sah, wie die stürzenden Fluten über seinen Bauch spülten und ihn von dem Felsvorsprung zu zerren drohten. So eng sich der Zwerg auch an die Felswand pressen mochte, für ihn reichte der Abstand zwischen Wasser und Stein nicht aus. Dennoch erreichte er endlich den schwarzen Riß im Gestein und schlüpfte hindurch. Das Seil in Elgors Hand ruckte zweimal zum Zeichen, daß Larix nichts Gefährliches entdeckt hatte.
    Mädchen und Junivera gingen als nächste und erreichten

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