Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
Vom Netzwerk:
...«
    »Überzeugt mich auch nicht«, knurrte der Streuner. »Vielleicht haben sie nur rechtzeitig eingesehen, daß sie ungewollt den Gang zu ihrem Versteck verraten haben, und nun versuchen sie, uns hinzuhalten, bis sie einen Plan ausgeheckt haben.«
    Larix trat vor, zeigte zuerst auf unsere Gruppe und dann auf den Gang, aus dem die Kleinen gekommen waren. Die beiden wechselten einen Blick. Dann lächelte Nipper wieder herzlich, wandte sich um und ging zur Gangmündung hinüber. Er winkte uns, ihm zu folgen.
    »Er steht vor dem falschen Gang«, murmelte Viburn. »Die beiden sind aus dem achten gekommen, das weiß ich genau.«
    Nipper und sein Gefährte hatten sich rechts und links neben der Öffnung aufgestellt und bedeuteten uns mit höflichen Verbeugungen, daß sie uns den Vortritt lassen wollten.
    »So läuft das nicht!« rief Viburn und hielt uns mit ausgebreiteten Armen auf. Er trat vor, ergriff die beiden Kleinen sanft, aber bestimmt an den Oberarmen und schob sie in den Gang hinein. Anschließend verbeugte er sich tief. Nipper und sein Gefährte kamen nach einem kurzen, keckernden Wortwechsel wieder aus der Öffnung heraus, erwiderten die Verbeugung mehrmals und gingen voran in den Nachbargang, durch die Öffnung Nummer acht.
    Viburn zwinkerte mir zu und folgte ihnen.
    Der seltsame Zwischenfall vor der Gangmündung hatte natürlich mein Mißtrauen geweckt. Darum beeilte ich mich, den Gang als nächster zu betreten, denn ich wollte die beiden Kleinen während unseres Marsches genau im Auge behalten können. Der Tunnel war so niedrig, daß ich nur gebückt gehen konnte, für die Feilscher reichte die Deckenhöhe natürlich aus. Sie konnten sogar ihre Fackeln am ausgestreckten Arm in die Luft halten. Vielleicht hatten sie den Tunnel aus Gründen der Bequemlichkeit so großzügig bemessen. Ich sprach mit Larix, der hinter mir ging, über meine Beobachtung. Er blieb stehen, um Wände und Boden eingehend zu mustern, dann schloß er wieder zu mir auf. »Der gesamte Tunnel ist aus massivem Fels geschlagen. Ich kann mir kaum vorstellen, wie die kleinen Burschen das bewerkstelligt haben. Eigentlich würde ich solche Leistungen nur meinem Volk zutrauen, aber die Art der Meißelspuren spricht dagegen: Wer diesen Gang gehauen hat, verstand nicht viel vom Wesen des Gesteins. Statt die natürlichen Adern und Sprünge zu nutzen, haben die Erbauer nur ihre Körperkraft eingesetzt. Wenn ich nicht wüßte, daß das Menschenvolk nicht viel von der unterirdischen Baukunst hält, würde ich menschliche Tunnelbauer vermuten.«
    »Du meinst, die Feilscher haben diese Gänge womöglich nur übernommen?«
    Larix zuckte die Achseln. »Schwer zu sagen. Auf jeden Fall ist der Tunnel noch nicht alt – vielleicht zehn oder zwanzig Jahre ...«
    Der Weg durch den Fels führte uns beständig bergab. Mal war der Boden leicht geneigt, mal wies er in Stein gehauene Stufen auf, mal schraubte er sich als Wendeltreppe fünf oder sechs Mannslängen nach unten.
    Mein Blick folgte jedem von Nippers Trippelschrittchen. Wenn der Feilscher eine Stufe übersprang, ließ auch ich sie aus, wenn er dicht an einer Gangwand entlangging, quetschte auch ich mich am Fels entlang. Doch meine Vorsichtsmaßnahmen waren anscheinend überflüssig. Die Gefährten hinter mir achteten weniger genau auf den Weg, aber auch unter ihren Füßen tat sich kein bodenloser Abgrund auf, kein Spieß zielte aus der Decke auf ihre Köpfe. Viburn war genau in die Fußstapfen des anderen Feilschers getreten. Eben gab er jedoch seine Vorsicht auf und entschied sich zu einer bequemeren, menschlichen Schrittlänge.
    »Ich denke nicht, daß es in diesem Gang eine Falle gibt«, sagte ich von hinten.
    »Wahrscheinlich nicht ...«
    »Vielleicht hatte auch die Szene oben am Eingang nichts zu bedeuten ...«
    »Welche Szene?« fragte Viburn. »Ach, als die Strolche uns in den falschen Gang locken wollten? Na, das war doch wohl sonnenklar!«
    »Hab ich zuerst auch gedacht. Aber dann ist mir eingefallen, dieser andere Gang hätte ja auch für uns bequemer angelegt sein können, mit einer höheren Decke zum Beispiel ...«
    »Wie du meinst«, versetzte der Streuner. »Tritt du nur für deine kleinen Freunde ein und laß dich von ihnen einlullen. Ich für meinen Teil werde die Augen offenhalten, das versichere ich dir.«
    Weiter folgten wir den Fackeln der beiden Feilscher. Der Gang verlief jetzt recht eben. Die Wände traten so weit auseinander, daß man bequem nebeneinander gehen konnte. Der

Weitere Kostenlose Bücher