Die Gabe der Amazonen
Amazonenburg. Wir werden uns von dir trennen müssen, bevor wir die Burg erreichen – zu deinem eigenen Wohl.«
Mädchen schwieg. Enttäuschung und Ratlosigkeit sprachen aus ihrem Blick.
Viburn faßte ihr sanft unters Kinn. »Na, nun sei nicht so verzweifelt! Vielleicht wird das alles nicht so schlimm. Wir müssen unbedingt mehr über deine Vergangenheit von dir erfahren – ich weiß nur nicht, wie wir das anstellen sollen. Möglicherweise bist du in Kurkum völlig unbekannt. Es gibt nicht nur diese eine Amazonenburg. Die Amazonen bezeichnen sich gerne als Volk, aber das sind sie nicht. Man könnte sie viel eher einen Geheimbund nennen. Ein Klan, dessen Anführerinnen in lockerer Verbindung miteinander stehen. Soviel ich weiß, soll es in der Gegend um Punin auch eine Amazonenburg geben. Wir haben dich in den Trollzacken aufgelesen. Vielleicht bist du eine aufmüpfige Rekrutin, die aus Almada fortgelaufen ist ...« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Auf jeden Fall wirst du dich von dieser Uniform trennen müssen, bevor wir in Kurkum angelangt sind. Denn dieser Panzer hat einer Kriegerin aus Kurkum gehört – soviel steht fest, und es wird den Frauen nicht gefallen, dich in dieser Tracht zu sehen ... Aber bis dahin kann noch viel geschehen.« Mädchen versprach, es uns sofort zu erzählen, wenn ihr irgendeine Kleinigkeit aus ihrer Vergangenheit in den Sinn käme. Dann standen wir auf und kehrten zum Feuer zurück.
Während der Nacht war der Nebel noch dichter geworden. Die feuchten Schwaden wurden von einem leichten Wind bewegt. Sie trieben gemächlich über den Boden und verwoben sich in einiger Entfernung zu einem undurchdringlichen Gespinst. Aus dem bleiernen Dunst reckten die verwunschenen Bäume ihre schwarzen knorrigen Äste. An allen Zweigen, an den Blättern des braunen Farns hingen dicke, schwere Tropfen. Unser Feuer war längst erloschen. In klammen Kleidern hockten wir uns um die kalte Asche zu einem hastigen Morgenmahl. An Proviant fehlte es uns nicht, denn Viburn hatte es sich nicht nehmen lassen, auf unserem Weg durch den Fluchttunnel in Beilunk einen Abstecher in den Vorratskeller des Fürsten zu machen. Wir aßen zarten Schinken, der eigentlich verwöhnteren Gaumen zugedacht war, und den wir darum nur um so mehr zu schätzen wußten.
Als wir unsere Sachen gepackt hatten und aufbrechen wollten, wehte gedämpfter Hufschlag heran. Wir lauschten in den Nebel, bis das Geräusch in der Ferne verklungen war.
»Verdammt!« schimpfte Larix. »Geben die Strolche denn niemals auf?«
Elgor setzte eine nachdenkliche Miene auf. »Wenn mich meine Ohren nicht getäuscht haben, kam der Hufschlag von dort.« Er zeigte in die Richtung, die wir einschlagen wollten. »Dann müssen die Gardisten um uns herum geritten sein. Ich hätte nie damit gerechnet, daß sich eine Reitertruppe in diesem Gebirge so gut auskennt. Es eignet sich nicht für Pferde.«
Viburn stimmte ihm zu. »Vielleicht haben sie einen ortskundigen Kundschafter bei sich – möglicherweise war das eben auch eine Reiterschar, die zufällig vorübergekommen ist.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, erwiderte ich. »Wer reitet schon aus freien Stücken durch ein so unwirtliches Gebiet – und noch dazu an einem so elenden Morgen?«
Larix war nicht aus der Ruhe zu bringen: »Wie dem auch sei – die Strolche sind fort. Und auch wir sollten uns jetzt in Bewegung setzen. Der Nebel ist auf unserer Seite. Er trägt jedes Geräusch eine halbe Wegstunde weit. Zum Glück machen Pferde viel mehr Lärm als wir – abgesehen von Elgor, natürlich.«
Viburn wandte sich schmunzelnd zum Gehen, da fiel sein Blick auf Junivera, die immer noch bei der Feuerstelle saß.
»Junivera – wir gehen.«
»Ich komme nicht mit euch.«
Viburn setzte sich neben sie und sprach ruhig auf sie ein. Er erklärte ihr, daß sie, ein Stadtmensch, allein in dieser Wildnis verloren wäre. Sie verstünde sich nicht auf die Jagd und wäre andererseits eine leichte Beute für alle Jäger in diesem Gebirge. Zurück nach Beilunk könnte sie auch nicht gehen, wenn sie nicht im Kerker enden wollte. Junivera schüttelte nur immer wieder stumm den Kopf. Viburn setzte von neuem an: »Siehst du nicht ein, daß du uns alle gefährdest, wenn du allein gehst und unseren Häschern in die Hände fällst? Sie werden dich verhören, und du wirst ihnen alles verraten, was du über uns weißt.«
»Mag sein, daß ich in Gefangenschaft gerate, aber ich würde euch niemals verraten, das
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