Die Gabe der Amazonen
also trennen – ohne eine Spur von Abschiedsschmerz, wie es unter echten Kriegern üblich ist. Aber bis dahin soll von Abschied ...«
»Du machst dich über mich lustig«, unterbrach ihn Yppolita mit ernster Stimme.
»Das könnte ich auch von dir sagen«, entgegnete Viburn ebenso ernst. »All deine rauhen Sätze eben von den schwächlichen Städtern und den karnickelfeigen Männern entsprechen ja gar nicht dem, was du wirklich denkst. Du hast sie nur so dahingesagt, um dir und uns die Trennung leichter zu machen. Glaubst du denn wirklich, ich wäre so leicht zu täuschen?«
»Ich habe so geredet, wie es meinem Stand entspricht«, beharrte Yppolita. »Ich war meinem Volk eine schlechte Königin, weil ich die Überlieferung zu wenig achtete. Das soll in Zukunft anders werden, falls ich jemals ...«, sie brach ab. Ihre Augen schimmerten feucht.
Ein tiefes Gefühl der Rührung ergriff mich, während ich Yppolita dabei betrachtete, wie sie mit einem heftigen Kopfschütteln Ratlosigkeit und Traurigkeit aus ihrem Antlitz verbannte. Was mochte in ihr vorgehen, nun, da sie fast im gleichen Augenblick ihre Vergangenheit wiedergefunden und ihre Heimat verloren hatte? Wo sollte sie einen Halt finden in der Welt? Ich hätte ihr gern einen Arm um die Schultern gelegt, aber etwas in ihrer Haltung, ihrem Blick, hielt mich davon ab. Ich konnte mir leicht vorstellen, welche Kämpfe und welche Verzweiflung in diesem Moment ihr Innerstes beherrschen mußten, und doch blieb ihre Miene fast unbewegt. Ihre Haltung und ihr hoch erhobenes Haupt entsprachen einer Königin. Yppolita war aus anderem Holz geschnitzt als alle Menschen, denen ich zuvor begegnet war. »Du wirst auf den Thron zurückkehren, und du wirst deinem Volk eine gute Königin sein«, hörte ich mich sagen.
»Das kann wohl nicht geschehen, lieber Arve«, antwortete Yppolita mit einem würdevollen Kopfnicken, »aber ich danke dir für deine freundlichen Worte.« Sie war wirklich eine andere geworden, und so sehr ich die Königin in ihr, die ich plötzlich so deutlich sehen konnte, bewunderte, so sehr bedauerte ich es auch, daß wir Mädchen für immer verloren hatten. Unsere Freundin ohne Vergangenheit mochte ein seltsamer, ja, ein unvollständiger Mensch gewesen sein, aber sie war so übervoll von kindlicher Offenheit und Wärme gewesen, ihre strahlende Freundlichkeit hatte etwas Überweltliches, Alveranisches an sich gehabt, eine Leichtigkeit, der ich nun nie wieder begegnen würde. Schon jetzt erfüllte mich ein tiefer Abschiedsschmerz. Gleichzeitig – das ist wohl mein elfischer Wesenszug – machte meine Neugier mir zu schaffen: Ich hätte Mädchen so viele Fragen zu stellen gehabt, hätte so gern gewußt, wie es sein mochte, plötzlich noch einmal geboren zu werden, mitten in ein Leben hineingeworfen zu sein, das ihr gleichzeitig fremd und vertraut war ... Wie hatte sie uns, wie hatte sie mich gesehen, als sie noch Mädchen war. Und wie hatte sich für sie unser Bild verändert, nun da sie uns als Yppolita, mit den Augen einer Amazonenkönigin, betrachtete? Diese und andere Fragen drängten sich mir auf, aber ich konnte sie nun nicht mehr aussprechen. Mädchen hätte ich nach ihren Gefühlen fragen können, aber Yppolita, eine Fremde ... Nein, die Königin konnte ich nicht mit solchen aufdringlichen Vertraulichkeiten behelligen. Statt dessen erkundigte ich mich nach unserem merkwürdigen Gastgeber: »Ich frage mich, ob wir diesem Mimmel wirklich trauen können. Was meinst du?«
Yppolita schaute zu dem Seiteneingang hinüber, durch den Mimmel vor einiger Zeit verschwunden war. »Ich glaube schon. Die Kleinen beliefern uns Amazonen mit einigen wichtigen Dingen, zum Beispiel mit Arzneien. Diese Kräuter und Tinkturen haben allerdings ihren Preis – darum werden die Kleinen ja auch vielerorts ›Feilscher‹ genannt –, aber sie wirken zuverlässig. Kurkum kauft auch Obst und Gemüse bei Mimmel. Wir haben uns immer gefragt, wie er im Winter frische Früchte beschaffen konnte. Nun kann ich mir es vorstellen. Es muß mit diesem warmem Wasser im Teich und der windgeschützten Lage des Tals zusammenhängen ...«
»Ja, wissen die Amazonen denn nicht, wo das Tal der Feilscher liegt? Ist niemals eine von euch hier gewesen?«
»Nein, Viburn, wir betreten es nie – wir haben auch nie danach gesucht. Halt – das stimmt nicht ganz. Es gibt immer eine Bewohnerin der Burg, die eine Verbindung zu den Feilschern unterhält; für den Fall, daß wir dringend eine Medizin
Weitere Kostenlose Bücher