Die Gabe der Amazonen
Eingänge zu Tierbauten erinnert hätten, wenn da nicht die mehr oder weniger langen Treppen gewesen wären, die zu den Öffnungen hinaufführten. Mimmel geleitete uns zu einem Felsportal, das wir, ohne uns bücken zu müssen, passieren konnten. Hinter der Öffnung wölbte sich die gemeißelte Decke hoch hinauf über einem runden Höhlensaal, der von Wand zu Wand wenigstens dreißig Schritte maß: offenbar der Basaal, in den er uns eben eingeladen hatte. Den größten Teil des Raumes, der von Wandfackeln beleuchtet wurde, nahm ein U-förmiger Tisch ein. Die beiden Schenkel des Hufeisens waren von durchgehenden, niedrigen Bänken gesäumt, auf der Stirnseite stand auf einem vierstufigen Podest ein kleiner Thron. Links und rechts neben dem Thron hatte man geflochtene henkellose Körbe aufgestellt – die Böden wiesen nach oben und befanden sich etwa auf der Höhe eines gewöhnlichen Stuhles. Ich zählte genau sechs dieser ›Korbschemel‹. Wir wurden offensichtlich bereits erwartet.
Häuptling Mimmel deutete auf große dampfende Tonschüsseln, die vor den Schemeln auf dem Tisch standen. »Nach der anstrengenden Reise werdet ihr euch erfrischen wollen.« Er klatschte in die Hände, und zwei kleine Frauen sowie ein draller Jüngling trippelten durch einen Nebeneingang in den Saal. Alle drei hatten die schwarzen Haare zu festen Knoten hochgesteckt. Sie trugen weite Pumphosen, durch deren dünnes Gewebe rosig die rundlichen Schenkel schimmerten, die Kugelbrüste der Frauen waren in knapp geschnittene, bestickte Westen gezwängt. Der runde, bei jedem Schritt lustig hüpfende Bauch des Jungen war unbedeckt. Die drei trugen dicke, flauschige Tücher auf den Armen. Sie legten ihre Last auf den Korbschemeln ab, lächelten uns zu und gingen wieder hinaus. Mimmel schaute nicht ohne Stolz hinter ihnen her. »Ich werde mich jetzt zu meinen Gespielen begeben und euch alleine lassen. Später werden wir dann gemeinsam die bescheidenen Freuden genießen, die die Zehnteler einem Wanderer zu bieten haben. Bis bald.«
Das Wasser in den Schüsseln war angenehm warm und mit duftendem Öl versetzt. Wir wuschen uns Hände und Gesicht, setzten uns auf die Körbe und warteten.
»Solange wir noch allein sind, sollten wir schnell ein paar Dinge besprechen«, sagte Yppolita. »Wie ihr wißt, befindet ihr euch in Lebensgefahr, weil ihr mich in eure Gruppe aufgenommen habt. Darum schlage ich vor, daß wir uns trennen, sobald Mimmels kleines Fest vorüber ist.« Sie wandte sich an Viburn. »Außerdem ist euer Auftrag erfüllt. Ihr habt mich gefunden und könnt meinem Vater berichten, daß ich am Leben bin und es mir besser geht, als ich es verdiene. Was willst du mehr? Nichts spricht dagegen, daß Fürst Bennain dir deine Belohnung auszahlt.«
Viburn warf ihr einen finsteren Blick zu. »So hätte Mädchen nicht gesprochen.«
»Mädchen gibt es nicht mehr.«
»Ja, da magst du recht haben. Ich frage mich nur, ob du glücklich darüber bist – und ob Mädchen wirklich ganz und gar verschwunden ist.«
Yppolita schwieg.
»Du könntest uns nach Havena begleiten«, sagte Elgor in die Stille hinein. »Gewiß – dort könntest du nicht als Amazone leben, aber was willst du sonst tun? Bis ans Ende deiner Tage durch die Wildnis streifen?«
Yppolita hob die Schultern. »Wer will sagen, wie sich unser Schicksal erfüllt? Aber eines weiß ich gewiß: Ich werde niemals mit euch nach Havena ziehen, um fortan unter Städtern zu hausen. Das mag für euch passend sein – ich bin zu einem anderen Leben geboren und erzogen worden. Wir Amazonen verachten das müßige, verweichlichte Treiben der Stadtbewohner. Ich käme um, wenn ich Tag für Tag mit Kranken und Schwachen zusammen sein müßte, wenn ich mitanzusehen hätte, daß Männer – feige wie Karnickel – über Frauen gebieten. Das ist eure Welt, laßt mich nur damit in Frieden!«
»Ist ja schon gut!« Ein Lächeln spielte auf Viburns Lippen. »Ich glaube, ich habe dich verstanden – ja, ich begreife, was du mit deinen Worten bezwecken willst: Wir werden uns trennen, sobald wir dieses Tal wieder verlassen haben, und wir werden dir keine Träne nachweinen, in Ordnung?«
Yppolita sah ihm mißtrauisch in die Augen. Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, errötete und schwieg.
Viburn fuhr fort: »Ich sehe, ein Rest von Mädchen ist dir geblieben und wird auch wohl immer bleiben. Dir mag es peinlich sein, aber ich freue mich darüber ... Wo war ich eben stehengeblieben? Ach ja: Wir werden uns
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