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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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...«
    »Fürst Bennain ist mein Vater, falls du das meinst.«
    Viburn nickte und griff seinen Satz wieder auf: »Diese Königin ist auf geheimnisvolle Weise verschwunden, und wir sollten herausfinden, wieso sie verschwunden ist und wo sie sich aufhält, falls sie noch lebt. So ungefähr lautete unser Auftrag, und damit ist auch alles gesagt, was wir über Yppolita wissen.«
    Die Amazone starrte ihn ungläubig an. »Ich wißt nichts von der Schande, die ich über den Amazonenthron gebracht habe, habt nichts von meiner gerechten Strafe, der lebenslangen Verbannung, gehört?«
    »Nein«, antwortete Viburn. »Das Neue Reich ist groß, nicht jede Kunde aus Kurkum dringt an jedes Ohr. Euer Volk ist klein, und es ist nur eins unter vielen. Bitte erzähle uns – so genau wie möglich –, was geschehen ist.«
    Und Yppolita berichtete von ihren Ausritten mit einem Bauernburschen, einem Treffen in ihrem Schlafgemach, das entdeckt wurde, ihrer anschließenden Verurteilung und der Verbannung, einer Strafe, die so milde ausfiel, weil Ulissa, die neue Königin, Gnade vor Recht ergehen ließ. Viburn ließ sich mit Yppolitas hastig hingemurmelten Worten nicht abspeisen. Er hatte eine Menge Fragen zu stellen: »Woher wußte der Bauernjunge, wie er bis zu dir, in dein Schlafgemach vordringen konnte?«
    Yppolita zuckte die Achseln.
    »Ist dein Schlaf sehr tief? Bist du schwer aufzuwecken?«
    »Nein – man hat uns früh beigebracht, uns nicht zu sehr dem Schlaf hinzugeben.«
    »Wie erklärst du dir dann, daß du nicht aufgewacht bist, als der Bursche in dein Zimmer kam, ja nicht einmal, als er in dein Bett gestiegen ist?«
    »Das kann ich mir nicht erklären.«
    »Aber ich!« Viburn schlug mit der Faust in die flache Hand. »Ich kann dir sagen, wie sich das zugetragen hat.«
    »Ich will es nicht wissen«, erklärte Yppolita mit fester Stimme. »Ich habe mich würdelos benommen – würdelos für eine Kriegerin, meine ich. Für eine Königin habe ich ...«
    Bei den Feilschern sprang plötzlich ein helles Stimmengewirr auf. Yppolitas Bericht hatte uns so sehr in seinen Bann gezogen, daß wir auf sie gar nicht geachtet hatten. Jetzt erst stellten wir fest, daß inzwischen mehr als zwanzig der kleinen Gestalten um uns versammelt standen. Aus diesem Kreis war eben ein kahlköpfiger, dicker Wicht getreten und hatte Yppolita mit erhobener rechter Hand gegrüßt. In der linken hielt er eine Leine, an der ein kurzbeiniger fetter Hund zog. Yppolita erwiderte die Begrüßung mit den Worten: »Mein Gruß gilt dir, Häuptling Mimmel! Alles Gute für deine Frauen, deine Kinder und deine Geschäfte! Möge dein Gold sich täglich vermehren. – Das ist Mimmel, der ehrenwerte Häuptling der Zehnteler«, sagte sie zu uns. »Mimmel, das sind meine Freunde Elgor, Larix, Arve, Viburn und Junivera.«
    Auf seine Art war Mimmel eine eindrucksvolle Erscheinung. Sein runder, prall vorstehender Bauch wölbte sich unter einem weiten, fein gefältelten Umhang aus mitternachtsblauer Seide, der bis herab zu den kleinen, in goldenen Pantöffelchen steckenden Füßen reichte. Der runde Schädel glänzte wie poliert. Ein dunkler Schatten zeigte an, daß der Häuptling die wenigen Haare, die ihm auf dem Kopf noch wuchsen, mit einem Schabemesser entfernen ließ. Glatt rasiert waren auch seine Wangen, aber Kinn und Oberlippe zierte ein sorgfältig gestutzter, grau gesträhnter Bart – ein Gesichtsschmuck, wie er in Khunchom oder Thalusa gerne getragen wird. In Mimmels Blick – seine Augen schauten unter buschigen, grannenhaarigen Brauen zu uns hinauf – paarte sich ein pfiffiger Zug mit gelassener Liebenswürdigkeit. Der Häuptling beherrschte unsere Sprache fehlerfrei. Mit einer anmutigen Geste wies er in die Richtung, aus der er mit seinen Gefährten gekommen war. »Seid meine Gäste! Folgt mir in den Basaal, kostet von unseren Früchten, unseren Vögeln, unserem Wein!«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er seinen Hund auf den Arm und setzte sich mit kleinen, kräftigen Schritten in Bewegung. Yppolita folgte ihm; wir anderen tauschten ein paar verwirrte Blicke, schließlich gingen wir hinter ihnen her, vorbei an endlosen Baumreihen, entlang an einem ovalen Teich, aus dem feine Dampfwölkchen aufstiegen. Wir traten aus der Pflanzung heraus – und das Ende des Tals lag vor uns. Zerklüftete Wände aus hellem Gestein ragten senkrecht in die Höhe – mehr als hundert Mannslängen. Dicht über der Talsohle wiesen die Felswände zahlreiche Löcher auf, die an

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