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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Vergangenheit unsere Gefangenen nicht wie andere Völker ge vier teilt, sondern ge zehn telt haben. Aber, im Vertrauen, ich halte das für Unsinn ...«
    Neben mir sagte Viburn – so leise, daß nur ich ihn verstehen konnte: »Ich nehme an, daß dieses Volk ursprünglich Zeterer hieß ...« Dabei deutete er mit dem Kopf auf eine Musikantinnengruppe nahe dem Eingang, die soeben ein wahrhaft markerschütterndes Gezeter angestimmt hatte. Den kleinen Leuten aber schien die Musik zu gefallen, ja, sie schienen sogar eine Art Takt zu erkennen, denn sie wiegten ihre Oberkörper einigermaßen gleichmäßig hin und her.
    Durch den Nebeneingang trugen bunt gekleidete Bedienstete fortwährend große gebratene Hühner auf silbernen Platten in den Saal. Als diese Braten überall auf den Tischen gleichmäßig verteilt waren, stand Mimmel auf, brach aus einem Huhn die Keule heraus, biß ein kleines Stückchen ab und drückte den Rest der überraschten Junivera in die Hand.
    Die Geweihte hatte die Vorgänge im Basaal der Feilscher mit der gleichen Teilnahmslosigkeit beobachtet, die sie schon seit ein paar Tagen zeigte. Jetzt schaute sie unschlüssig auf das goldbraune Fleischstück in ihrer Hand.
    »Iß nur unbesorgt«, sagte Yppolita. »Er wollte dir nur zeigen, daß das Stück nicht vergiftet ist. Soviel ich weiß, ist das bei großen Essen der Zehnteler üblich.«
    Junivera biß in den Hühnerschenkel, kaute und schluckte gedankenverloren. Der Häuptling fuhr fort, den Hühnerbraten aufzuteilen, nicht ohne von jedem Stück zuerst ein Häppchen abzubeißen.
    Kristallene Pokale wurden verteilt, die Diener brachten Krüge heran. Mimmel füllte alle unsere Gläser und sein eigenes aus einem Krug. Dann sprang er behende auf den Tisch, drehte sich zu uns herum und hob seinen Pokal. »Laßt uns anstoßen, wie es in euren Schenken üblich ist!« Wir stießen die Gläser klirrend aneinander. Viburn versetzte mir einen leichten Stoß mit dem Ellbogen. Das wäre nicht nötig gewesen, ich hätte ohnehin erst meinen ersten Schluck genommen, nachdem Mimmel aus seinem Glas getrunken hat. Es war ein Beerenwein, stark, aber nicht zu sehr, kühl und schmackhaft. Bald war der erste Krug geleert. Mimmel klappte sein Buch auf, kritzelte etwas hinein und schenkte uns aus einem zweiten Krug ein. Wieder achteten wir darauf, daß auch er von dem Wein trank. So ging das Fest seinen Gang. Wir aßen, plauderten, tranken Beerenwein, zerkauten köstlich süße Früchte, achteten aber immer darauf, daß Mimmel unsere Speisen und Getränke vorkostete. Als ich spürte, daß ich einen leichten Schwips bekam, beschloß ich, beim nächsten Beerenweinkrug einmal auszusetzen. Aber der Häuptling ließ eine gläserne Karaffe hereintragen, die eine klare, leicht grünliche Flüssigkeit enthielt.
    »Mein Ältester«, verkündete Mimmel. Dabei deutete er auf den jungen Feilscher, der die Karaffe auf der Schulter trug. Der Junge war fast einen Kopf kleiner als sein Vater, stand ihm aber in der Leibesfülle kaum nach. Mimmel nahm ihm die Flasche von der Schulter. »Felsreben«, erklärte er. »Der Saft ist unvergoren. Wir geben ihn unseren Kindern zu trinken, aber ihr solltet ihn auch einmal versuchen. Er ist unvergleichlich.« Er schenkte seinem Sohn einen Becher voll. Der dicke Knabe leerte ihn in einem Zug und leckte sich genießerisch die Lippen. Mimmel füllte unsere Gläser. »So trinkt! Ihr werdet diesen Geschmack euer Leben lang nicht vergessen.«
    Mit dieser Versprechung sollte er recht behalten. Ich habe den Trank bis heute nicht vergessen, die Erinnerung an ihn zählt zu den unangenehmsten Erfahrungen meines Lebens, aber diese Einsicht kam erst später.
    Ich fand den Geschmack des kalten, etwas dickflüssigen Saftes beim ersten Schluck noch seltsam, dann aber unvergleichlich köstlich: süß, aber würzig, belebend, anregend und gleichzeitig wohltuend wie eine teure Medizin.
    Junivera, die sonst so ernste Junivera, lachte plötzlich ausgelassen. Die Leidensmiene der letzten Tage, die wir alle kaum noch ertragen konnten, war aus dem strahlend heiteren Gesicht gewichen. Ihr Lachen perlte wie ein Quell, so mitreißend, daß wir alle einstimmen mußten. Elgor kicherte, Larix bog sich, hielt den Bauch und schnappte nach Luft. Yppolita keuchte und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. Viburn schmunzelte still. Ich konnte erst aufhören zu lachen, als mir der Brustkorb schmerzte.
    Auch die Feilscher freuten sich. Die meisten waren aufgesprungen und standen

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