Die Gabe der Amazonen
dann habe ich euch getroffen.«
Die Tage gingen ereignislos dahin. Auch am vierten Morgen hatte sich Larix' Zustand nicht gebessert. Nun waren auch das Gesicht, die Arme und die Hände häßlich aufgedunsen, der Unterleib sah aus, als würde er zerplatzen, sobald man mit einem Dolch hineinpiekte.
Der Zwerg wäre vor Langeweile umgekommen, wenn Viburn ihn nicht auf die Idee gebracht hätte, aus einem unserer Felle ein Paar Schuhe für Mädchen zu nähen. So lag Larix auf seinem Lager am Feuer, summte vor sich hin, schnitt Fellstücke zurecht, die er auf seinem Trommelbauch zurechtlegte, rief Mädchen zur Anprobe heran, zog Darmsaiten mit einer dicken, beinernen Nadel durch das dichte Fell, trennte ein, zwei Nähte wieder auf, nahm immer wieder Änderungen und Verbesserungen vor.
Am Ende mußten wir ihm die Schuhe fast mit Gewalt fortnehmen. Inzwischen war nämlich eine Menge Schnee gefallen, und Mädchen kehrte von jedem Ausflug mit rotblauen Zehen zurück, aber Larix wollte unbedingt noch ein Paar Verzierungen auf seinem Werk anbringen ...
Für den Rest seiner Erholungszeit ließen wir ihn Pfeile schnitzen.
So lebten wir recht gut. Im Tal vor der Höhle gab es viel Wild, und seit ich meinen Bogen zurückbekommen hatte, ging mir die Jagd mühelos von der Hand.
Mädchen betrachtete staunend unseren ersten Hasenbraten. »Kann man Tiere essen?«
Sofort, nachdem sie ihren ersten Bissen verschlungen hatte, lief sie hinaus vor die Höhle, und wir hörten sie jämmerlich würgen. Der zweite Versuch gelang schon viel besser, und die kräftige Kost bekam unserem Gast ausgezeichnet.
Abends, in der warmen Höhle, streifte Mädchen gewöhnlich alle Kleider ab, und wir konnten sehen, wie sehr sich ihr Körper in den wenigen Tagen verändert hatte: Mädchen war groß, größer als mancher Mann, und sie war noch immer sehr mager. Aber ihre Knochen staken jetzt schon nicht mehr so erbärmlich aus der Haut, die Knie waren kaum noch die dicksten Stellen ihrer langen Beine. Ihr war ein fester, runder und hübscher Po gewachsen, und sogar der sonst knabenhafte Busen schien sich deutlich zu wölben. Mit jedem Tag verwandelte sie sich deutlicher in eine Frau – und dazu in eine hübsche. Wenn ich abends Mädchen bei ihren Hantierungen beobachtete und dabei zufällig Viburns Blick begegnete, konnte ich deutlich erkennen, daß auch ihm die Verwandlung der Diebin aufgefallen war. Es lag ein unverhohlenes Begehren in seinem Mienenspiel.
Mädchen war immer guter Dinge. Sie hatte Gesellschaft und sie hatte zu essen – mehr schien sie vom Leben nicht zu erwarten. Eigentlich hätten wir noch einmal darüber beraten müssen, was mit ihr geschehen sollte, wenn wir unsere Reise fortsetzten, aber es war offenbar niemand bereit, diese Beratung zu eröffnen. Nicht einmal Junivera, die seit kurzem viel Zeit mit Mädchen verbrachte. Sie saßen jetzt häufig zusammen, und Junivera erzählte von den Zwölfgöttern, vom strahlenden Praios, dem düsteren Ingerimm, der flatterhaften, leichtherzigen Rahja, vor allem aber von Rondra, der streitbaren Göttin, der himmlischen Herrin der Krieger und Kämpfer und aller mutigen Männer und Frauen. Mädchen war sehr gefesselt von diesen Dingen und berichtete ihrerseits von den Seelen, die in allen Lebewesen steckten. Diese Seelen stellte sich Mädchen als eine Art Schleier vor, der vom Körper hinauf zum Himmel schwebte, wenn ein Wesen starb. Von dort fiel der Schleier dann wieder herab, wenn irgendwo ein anderes Wesen geboren wurde. So hatte es ihr der Oheim erklärt. Aber als dieser gestorben war – und wenn ich ein Karnickel geschossen hatte –, war nirgendwo ein Schleier zu sehen gewesen, und darum hatte Mädchen an seinen Lehren zu zweifeln begonnen. Junivera hörte Mädchen geduldig zu und verstand es, nach einer Weile immer wieder das Gespräch auf die Zwölfgötter zu bringen und auf die eine Göttin, die unter den Zwölfen einzig dastand.
Ich beobachtete die Annäherungsversuche unserer Priesterin voller Mißtrauen, und als einmal Junivera Mädchen einen schweren Stecken in die Hand drückte und sie aufforderte, mit ihr hinaus vor die Höhle zu kommen, wo sie ihr eine erste Lehrstunde im Schwertkampf erteilen wollte, sprang ich auf, um den beiden nachzulaufen. Aber Viburn hielt mich zurück, und Elgor winkte lachend ab.
»Mädchen ist außer Gefahr«, sagte er, »hast du das denn noch nicht begriffen?«
Ich sah ihn fragend an.
»Junivera ist im Begriff, eine neue Verehrerin für ihre
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