Die Gabe der Amazonen
haßt die Diebe und die Schleichenden«, beharrte Junivera.
»So so!« Elgor stapfte in der Höhle auf und ab. »Die Löwin, der Göttin Rondras heiliges Tier, versteht sich ausgezeichnet auf das Schleichen, wenn sie auf der Jagd ist. Und warum schleicht die Löwin? Weil das Leben sie gelehrt hat, wie man jagt, und weil die Löwin – da sie klug ist – versteht, daß das Leben eine Menge Lehren bereithält, für uns alle! Nur wer vom Leben nichts kennt als Exerzitien, heilige Bücher, Altäre und Predigten, der macht sich seine Lehren selbst. Und es sind die falschen, Junivera: Sie taugen nichts für die Welt!«
Die Priesterin war sehr blaß geworden. Ihre Lippen bebten, aber sie schwieg.
Wir hatten Larix in der Höhle auf ein bequemes Lager gebettet, er lag auf dem Rücken und betrachtete, seit er wieder zu sich gekommen war, unentwegt seinen nackten, riesenhaft aufgeblähten Bauch.
Die Wunde wurde mit Arzneien aus unserer Kräutertasche versorgt, aber mehr konnten wir nicht tun. Junivera erschöpfte sich in vergeblichen Gebeten, bis sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte.
Larix selbst ging es nicht schlecht. Ich glaube sogar, er genoß es, von uns bedient zu werden, und für ihn stellte sich die Lage inzwischen nicht mehr allzu bedrohlich dar: Er war innerhalb der ersten sechs Stunden nicht an dem Tarantelstich gestorben, also würde er wahrscheinlich überleben – wenn er still liegenblieb, viel trank und möglichst wenig aß.
Doch bis die Schwellung so weit abgeklungen war, daß Larix wieder aufstehen konnte, würde bestimmt eine Woche vergehen.
Wir hatten in der Höhle Quartier bezogen – alles in allem erwies sich Larix' Entdeckung durchaus als geeigneter Unterschlupf – und warteten. Es gab wenig zu tun. Am ersten Tag hatten wir uns in der Höhle eingerichtet. Sie erstreckte sich tief in die Felswand hinein und war am hinteren Ende so schmal, daß nicht einmal Mädchen sich tiefer in das Dunkel hineinzwängen konnte. Vorn beim Eingang aber war unsere Wohnstatt recht geräumig. Der Boden hatte hier einen Durchmesser von mehr als sieben Schritt. Er war eben und festgetreten – vermutlich hatte die Höhle im Laufe ihrer Geschichte schon etlichen großen und kleinen Lebewesen als Behausung gedient, worauf auch allerlei Knochenstücke und Skeletteile schließen ließen, die in einigen Nischen verstreut lagen. Im Verlaufe des ersten Tages reinigten wir die Höhle von solchem und anderem Unrat. Dann schichteten wir aus Reisig und Gras bequeme Lagerstätten für jeden von uns auf. Wir stellten unser Gepäck ordentlich an den Wänden auf, bauten nah am Eingang, so daß der Rauch leicht abziehen konnte, eine kreisrunde Feuerstelle aus sorgsam ausgewählten Steinen und errichteten sogar mit Hilfe von Felsstücken und einer flachen Schieferplatte einen kleinen Tisch beim Feuer.
Hundertmal am Tag warf jeder von uns einen Blick auf Larix' Bauch, der sich zwischen dem Bartgestrüpp des Zwerges und den herabgeschobenen Decken prall wie ein gut gefüllter Weinschlauch in die Höhe wölbte. Seit zwei Tagen hatte sich keine Veränderung gezeigt: Die Haut über dem aufgeblähten Unterleib war papierdünn und durchsichtig, zum Zerbersten gespannt. An der Einstichstelle hatte sie sich graugrün verfärbt und blätterte schuppig ab.
Ich übernahm bald eine Aufgabe, die mich einen Teil des Tages beschäftigte: Ich hatte für frisches Fleisch zu sorgen. Gleich am ersten Tag nahm ich Mädchen mit. Ich wußte, daß sie sich in der Wildnis zu bewegen verstand – und so war sie immerhin für einige Zeit Juniveras strafenden Blicken entzogen. Ich zeigte ihr, wie man Pfeil und Bogen benutzte.
»Auf weite Entfernung hebst du den Bogen so weit an, daß die Pfeilspitze über das Ziel hinausweist, siehst du, so!«
Sie sah mich verständnislos an.
Ich gab ihr Pfeil und Bogen in die Hand, zeigte ihr den toten Baum, auf den sie schießen sollte und richtete ihr Pfeilhand und Bogenhand so ein, daß der Pfeil ungefähr die richtige Bahn nehmen mußte. Sie ließ die Sehne fahren. Der Pfeil flog weit über das Ziel hinaus. Bevor ich etwas sagen konnte, sprang Mädchen dem Pfeil hinterher. Nach kurzer Suche hatte sie ihn gefunden und kehrte im Laufschritt zu mir zurück. Sie nahm mir den Bogen aus der Hand und legte den Pfeil von neuem ein. Da sie völlig außer Atem war, tanzte die Pfeilspitze auf und ab. »Warte einen Augenblick«, sagte ich noch, »bis du ein wenig ruhiger geworden bist«, da zitterte der Pfeil schon
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