Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
Vom Netzwerk:
andererseits habe ich selten einen Trödler gesehen, dem sein Geschäft so viel Vergnügen bereitet hat ...«
    Er schaute unter buschigen Brauen zu mir auf und schnitt eine Grimasse.
    »Was kostet dieses Rapier?« fragte ich. »Wenn Ihr es mir persönlich umlegen dürft?«
    »Fünf Dukaten!« zischte er. Der Mann hatte offensichtlich keinen Humor.
    Ich verzichtete auf den Kauf, und wir gingen hinaus auf die Straße.
    Durch das Tor zur Oberstadt zog ein ständiger Strom von Bürgern, Lastträgern und Fuhrwerken. Mädchen und ich schlüpften im allgemeinen Geschiebe ohne Schwierigkeiten an den dösenden Wachen vorüber und betraten die Oberstadt.
    Hier waren die Straßen mit roten Ziegeln gepflastert. Prächtige zwei- oder gar dreistöckige Häuser aus den gleichen Ziegeln säumten unseren Weg. Breite Fenster mit blank geputzten Butzenscheiben zierten die Fassaden neben kunstvoll beschnitzten Türen aus edlem Holz. Reich verzierte Schilder aus geschwärztem Eisen, leuchtend grünem Kupfer oder sogar goldblitzendem Messing wiesen aus, welchen Handel die Bewohner der Häuser trieben. Beilunk war zweifellos eine reiche Stadt. Vielleicht trug sie den Beinamen ›die Perle‹ doch zurecht.
    Mädchen bestaunte die blinkenden Panzer der Stadtgardisten mit dem gleichen Entzücken, mit dem sie die farbenprächtigen, schweren Kleider der Bürgerinnen, ihre golddurchwirkten Umhängetücher und die zierlichen Muffs aus schwarz glänzendem Maulwurfsfell betrachtete. Ich konnte ihr ansehen, daß ihr die neue Garderobe, auf die sie eben noch stolz gewesen war, schon jetzt keine Freude mehr bereitete. Auch ich kam mir in meinem abgewetzten Lederzeug sehr ärmlich vor. Mancher Bettler am Straßenrand war hier besser gekleidet.
    Um die Mittagszeit standen wir vor den Stufen des kolossalen Praiostempels und starrten zu der blinkenden, goldenen Kuppel empor. Mädchen stieß leise, andächtige Laute des Erstaunens aus. Zwei Greifen auf dem marmornen, strahlend weißen Giebelfeld hielten einen großen Rundschild aus lauterem Gold, das das Licht der Sonne widerspiegelte. Goldene Greifen dienten als Türgriffe an dem dreifach mannshohen Portal.
    »Hier wohnt der Herr Praios?« fragte Mädchen leise.
    »Ja, hier wohnt er wohl«, antwortete ich, »aber er besitzt viele Häuser, und dieses ist nicht einmal sein prächtigstes, obwohl ich zugeben muß, daß es mich sehr beeindruckt.«
    »Kann man hineingehen? Oder meinst du, er hat etwas dagegen?«
    Gemeinsam mit Viburn hatte ich schon so manches heimliche Haus des Phex besucht, ein paar Perainetempel kannte ich, und einmal hatte ich den Efferdtempel in Havena besucht. Vor den strahlenden Kultstätten des Praios aber beschlich mich immer ein seltsames Unbehagen. Um die Wahrheit zu sagen: Ich fürchtete mich vor ihnen. Mir war, als ob in ihrem Innern eine gewaltige, strenge Macht darauf wartete, mir in die tiefste Seele zu blicken und all meine geheimsten Gedanken, meine unausgesprochenen Hoffnungen und uneingestandenen Wünsche ans Licht zu zerren, sie vor mir auszubreiten und sie wie kleine hilflose Tiere um- und umzuwenden, bis ich vor Scham und Schande gestorben wäre.
    »Wir können nicht hineingehen«, erklärte ich Mädchen. »Hier draußen, am Tempelportal, wollen wir mit Junivera, Elgor und Larix zusammentreffen. Im Innern finden sie uns vielleicht nicht.«
    Wir hielten eine Zeitlang nach allen Seiten Ausschau, aber die drei waren nirgendwo zu entdecken. Wir warteten. Als die Gläubigen zum Nachmittagsgebet in den Tempel strömten, waren unsere Gefährten noch immer nicht aufgetaucht. Eine Patrouille der Stadtgarde zog eben zum dritten Mal an uns vorüber, der Hauptmann musterte uns mit mißtrauischem Blick. Ich summte ein Liedchen, nahm Mädchen bei der Hand und ging langsam davon.
    Etwas war schiefgelaufen. Auf unserer Reise hatte ich Elgor und Junivera als überaus zuverlässige Menschen kennengelernt. Wenn sie jetzt nicht am Treffpunkt erschienen waren, konnte es dafür nur eine Erklärung geben: Es mußte ihnen etwas zugestoßen sein! Aber was? Waren sie gefangen? Tot? Wie sollte ich das jemals herausfinden, in einer fremden Stadt und mit einem einzigen Verbündeten: einem schönen großen Kind, das nicht aufhören wollte, die Beilunker Bürgerhäuser zu bestaunen, und sich offenbar um den Verbleib unserer Gefährten kein bißchen kümmerte.
    »Du mußt nicht traurig sein«, sagte Mädchen plötzlich. »Wir werden sie finden. Ich spüre das.«
    Überrascht sah ich sie an. »Ich bin

Weitere Kostenlose Bücher