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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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nicht traurig – ich bin verzweifelt! Kannst du mir verraten, wie du sie finden willst?«
    Mädchen war an einem Karren mit heißen Kastanien stehengeblieben. »Das riecht sehr gut. Das möchte ich gern essen ... Ganz einfach, wir gehen zu dieser Taverne, von der ihr bei Bauer Harme geredet habt, und fragen nach ihnen. Kaufst du mir etwas von dieser Speise?«
    Zerstreut gab ich dem Straßenhändler ein paar Kreuzer und sah ihm dabei zu, wie er die gerösteten Kastanien mit einer hölzernen Zange auf ein großes welkes Laubblatt legte.
    Das Neunauge, genau, so hieß die Schenke! »Dort hört ihr mehr, als ihr hören wollt«, hatte Harme gesagt.
    Ich ging mit zügigen Schritten auf das Südtor zu, das hinaus zum Hafenviertel wies. Mädchen lief schimpfend hinter mir her. In der Eile hatte sie Schwierigkeiten, die Kastanien auf dem Blatt zu balancieren.
     
     
     

 
     
    Ulissa, die neue Königin, leitete selbst den Rat der Kriegerinnen. Die Amazonen hatten Yppolita immer geliebt, aber alle waren überzeugt, daß der Rat nur ein Urteil fällen konnte. Yppolita schwieg zu den Vorhaltungen der Schwester und der Anklägerin. Was hätte sie für sich vorbringen können? Gewiß, sie hatte den Bauernjungen nicht heimlich in die Burg geholt, wie ihr die Schwester im Verhör unterstellte. Aber sie hatte den Unglückseligen zu seiner Tat ermutigt. Daran konnte es keinen Zweifel geben.
    Auch sprach es nicht für Yppolita, daß sie die komplizierten Zölibatbestimmungen nicht kannte. Als Königin wäre es ihre Pflicht gewesen, die alten Schriften zu studieren.
    Also verfolgte Yppolita stumm die Verhandlung, bis ihre königliche Schwester das Urteil sprach: Lebenslange Verbannung!
    »Wer immer die Dirne Yppolita in den Mauern Kurkums erblickt, hat sie auf der Stelle zu erschlagen und die sterbliche Hülle der Königin zu übergeben. Die Leiche ist in den Bergen zu verscharren – weitab von den Gräbern der stolzen Kriegerinnen!« Am nächsten Tag schon sollte die Schwertmeisterin Hana Yppolita in die Verbannung führen. Sie sollte sie bis ans andere Ufer des Radrom begleiten, zu jenem Fluß, den Yppolita niemals mehr überqueren durfte.
    In der Nacht rief die Königin Hana zu sich und erteilte ihr einen geheimen Befehl: »Yppolita wird mich hassen, solange sie lebt. Das weiß ich genau. Sie wird unentwegt auf Rache sinnen und eines Tages wiederkehren, um sich den Thron zurückzuerobern. Es wird einen Krieg geben, der viele unserer Besten das Leben kosten wird. Das darf nicht geschehen. Darum, Hana, wirst du meine Schwester in die Trollzacken führen und sie dort erschlagen und vergraben! So – und nun geh!«
    Hana hob die Hand zum Gruß und verließ den Raum. Es stand ihr nicht an, ihrer Königin zu widersprechen.
    Am nächsten Tag traten die beiden Frauen ihre traurige Reise an. Auf dem Weg von Kurkum nach Beilunk sprachen sie kaum mehr als zehn Worte miteinander. Von Beilunk zogen sie weiter nach Westen, bis sie den Fuß der Trollzacken erreichten. Sie übernachteten auf einem einsamen Bauernhof, der von einer Nivesenfamilie betrieben wurde. Man sprach über einen alten Druiden, der ein paar Tagreisen entfernt in den Trollzacken in einer Höhle hauste. Hana kannte den Einsiedler aus früherer Zeit. Die Frauen ritten lange durch die Täler des Gebirges, bis sie die Höhle gefunden hatten.
    Der Mann nahm sie bei sich auf. In der Nacht, als Yppolita eingeschlafen war, erzählte Hana dem Druiden von dem Befehl, der ihr so schwer auf den Schultern lag. Der langbärtige Alte versank in tiefes Nachdenken. Endlich sagte er: »Ich weiß einen Rat: Ich kann deinem Schützling das Gedächtnis nehmen. Das ist ein schwieriger Zauber, aber er wird mir gelingen. Wenn Yppolita morgen erwacht, dann wird sie ein neugeborenes Kind sein, das im Körper einer jungen Frau lebt. Sie wird laufen und sprechen können, aber sie wird niemals erfahren, daß es einen Ort wie Kurkum gibt. Es wird sein, als wäre sie gestorben und als ein anderer Mensch geboren. Du, Hana, kannst deiner Königin melden, daß es Yppolita nicht mehr gibt. Du hast deinen Befehl ausgeführt.«
    Hana trat leise an das Bett der Schlafenden. Ihre Augen waren vor Tränen blind. Das Kinn sank ihr schwer auf die Brust.
    »Gut«, sagte sie leise, »so soll es sein. Sie wird leben.«
    Dann ritt Hana hinaus in die Nacht. Der Druide schnitzte eine kleine Puppe aus Holz. Der Morgen dämmerte schon, als er mit seiner Arbeit fertig war. Er trat an Yppolitas Bett, die Puppe in der einen,

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