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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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eine silberne Nadel in der anderen Hand.
     
    Das Neunauge bestand aus einem einzigen, riesigen Raum. Dicke, rauchgeschwärzte Balken trugen die Decke, die zusätzlich von mächtigen Pfeilern gestützt wurde. An eisernen Ketten hingen zwei mächtige Karrenräder, auf denen unterschiedlich lange Kerzen brannten. Im Kamin prasselte ein mächtiges Feuer, die Flammen züngelten um einen dickbauchigen schwarzen Topf, der an einem Schwenkhaken hing.
    Die Theke und alle Tische bestanden aus dicken Bohlen, die über grob gezimmerte Böcke gelegt waren. Die Gäste holten sich ihre Getränke selbst vom Tresen, wo Wirt und Wirtin unablässig Bier aus schweren Fässern zapften. Es mochten wohl an die fünfzig Gäste in der Schenke sitzen, aber sie war keineswegs voll. Mädchen und ich fanden leicht einen Platz am Ende eines Tisches. Für meinen Geschmack war es noch zu früh, um mit dem Trinken zu beginnen, und so war ich froh darüber, unbehelligt auf der Bank sitzen und meine Umgebung betrachten zu können.
    In einer dunklen Ecke gleich neben der Theke saß ein leibhaftiger Troll. Ich mochte meinen Augen kaum trauen. Es war ein junger, ein kleiner Troll, aber ganz ohne Zweifel eines dieser zottigen, haarigen Wesen, um die jeder vernünftige Mensch einen weiten Bogen schlägt. Dieser hier schien zahm zu sein. Ich beobachtete ihn fast eine Stunde lange, und in der ganzen Zeit erschlug er nicht einen einzigen Gast, und er biß nicht einmal einem Zecher aus Spaß die Hand ab.
    Was er im Neunauge verloren hatte, wurde mir erst später klar, als es am Nachbartisch zu einer Rauferei zwischen zwei Seemännern und ein paar Flußschiffern kam: Der Wirt rief dem Troll etwas zu, und der langhaarige, in Pelze gehüllte Riese stand langsam auf. Tief vornüber gebeugt, um nicht an die Deckenbalken zu stoßen, und sich mit den Händen auf dem Dielenboden abstützend, schob er sich durch die Tischreihen auf die Streitenden zu. Er war noch ein paar Mannslängen von ihnen entfernt, als sie überraschend einen hastigen Frieden schlossen.
    Der Troll warf ihnen noch einen langen, finsteren Blick zu, dann kroch er gemächlich wieder in seine Ecke zurück, um vom Wirt einen kleinen, mit Bier gefüllten Holzeimer entgegenzunehmen. Wie den meisten anderen Gästen hatte auch mir beim Anblick des bedrohlich näherkommenden Trolls der Atem gestockt, aber nun fühlte ich mich wieder einigermaßen wohl in meiner Haut. Ich hatte fest damit gerechnet, im Laufe des Abends in irgendeine Prügelei verstrickt zu werden (der geneigte Leser mag sich einmal als Halbelf verkleidet in eine Hafenkneipe begeben – dann weiß er, was ich meine), doch nun sah es so aus, als würde ich für meinen Besuch im Neunauge nicht mit einer blutenden Nase bezahlen müssen.
    Der Schankraum füllte sich. Ein halbes Dutzend Hafenarbeiter, vier Männer und zwei Frauen, nahm – ohne uns lange um Erlaubnis zu bitten – an unserem Tisch Platz, und ich beschloß, ein vorsichtiges Gespräch anzuknüpfen.
    Wir sprachen über Beilunk, über die rauhe, aber herzliche Unterstadt und die raffgierigen Pfeffersäcke, die hochnäsigen Priester und die abgrundtief hirnlosen Gardisten der Oberstadt. Wir sprachen auch von der neuen Zeit, die nun kommen werde, da der junge, strahlende Reto den Garether Thron von den unsäglichen Geschwistern befreit und sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte. Auch vor den reichen Beilunker Spießern werde der frische Wind nicht haltmachen, und so mancher, der durch Kriecherei vor Bardo und Cella in Amt und Würden gelangt sei, hocke jetzt schon zitternd neben dem Ofen und lausche, ob der Gitterwagen nicht schon vor seinem Haus hielte. Die Anständigen würden nun für immer von den Verschlagenen geschieden, eines ehrlichen Bürgers Stimme würde wieder etwas gelten in der Stadt. Im weiteren Verlauf des Gespräches kamen wir überein, daß es auf der Welt keine bessere und ehrlichere Arbeit gäbe als das Ausladen von Schiffen. An zweiter Stelle kam die Jagd. Soviel gestanden meine neuen Freunde mir zu. Die Schauerleute schleppten Bier von der Theke heran. Ich trank vorsichtig. Mädchen lehnte ab. Sie sagte, Bier schmecke ihr nicht. Da brachte einer der Männer einen Becher maraskanischen Wein, mit Honig gesüßt. Mädchen leerte den Becher in wenigen Zügen. Ich nahm mir vor, sie im Auge zu behalten.
    Inzwischen sprachen wir über die Amazonen. Meine Tischgenossen wußten schon von dem von der Amazonenkönigin ausgesetzten Kopfgeld. »Eine Menge Geld!« seufzte eine

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