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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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mein nächster Gedanke. Ich warf mich herum. Ein grellroter Blitz flammte vor meinen Augen auf, dann war das rote Leuchten plötzlich seltsam schwarz gesprenkelt, bis ich gar nichts mehr sah.
     
    Ich saß auf einem schnellen Pferd und galoppierte durch einen nächtlichen Wald. Hinter mir hörte ich die Hufschläge meiner Verfolger. Eine der widerwärtigen, gesichtslosen Kreaturen war hinter mich auf den Pferderücken gesprungen und griff mir in die Zügel. Mein Pferd wurde langsamer und langsamer. Gleichzeitig schlug mir das haarige Ungeheuer immer wieder mit einem kurzen Knüppel auf den Schädel. Jeder Schlag schmerzte dämonisch, und ich wunderte mich darüber, daß ich nicht vom Pferd fiel. Dann endlich war es soweit: Ich rutschte aus dem Sattel und stürzte – endlos lang. Als ich schließlich auf dem Boden aufschlug, ergriff jemand meinen Kopf, hob ihn hoch und sagte: »Altes Langohr, was machst du für Sachen?«
    Das war Viburns Stimme.
    Also träumte ich. Eine innere Stimme mahnte, daß ich eigentlich keine Zeit zum Schlafen und zum Träumen hatte. Ich riß die Augen auf, aber ich wachte nicht auf, denn da hockte tatsächlich Viburn über mir, hielt meinen Kopf in einem zärtlichen Griff und sah zu mir hinab.
    »Ach Viburn«, hörte ich mich sagen. Dann fielen mir Mädchen und die Hafenarbeiter ein. Ich zwinkerte heftig und riß noch einmal weit die Augen auf. Aber mein Traum wollte kein Ende nehmen. Zwar konnte ich jetzt den Eingang des Neunauges deutlich vor mir sehen. Er war nur ein paar Schritte entfernt. Zwar fühlte ich mich wach und wollte gern aufspringen, aber da saß immer noch Viburn und hielt meinen Kopf fest. Verzweifelt schloß ich die Augen wieder und versuchte, meine Kraft zu sammeln, um endlich Borons sanfte Arme abzuschütteln und in die Wirklichkeit zurückzukehren. Doch es half nichts: Viburns Geist blieb da. Vielleicht hatte ich den Verstand verloren ...
    »Arve, sei vernünftig! Wach auf! Du hast lange genug geschlafen!«
    Das Gespenst tätschelte kräftig meine Wangen. Ich befürchtete, mein armer schmerzender Schädel müßte unter dieser Behandlung zerplatzen. Ich riß mich zusammen und sprang auf.
    Vor mir stand Viburn mit seinem breitkrempigen Hut, seinen Stulpenstiefeln, den langen dunkelblonden Locken und dem unvermeidlich spöttischen Grinsen.
    »Viburn?«
    Er nickte lachend.
    »Du lebst!«
    »Ich weiß!« Er boxte mich gegen die Schulter.
    »Viburn, wie kann ...? Viburn, du mußt ...! Viburn, woher ...?«
    »Jetzt nimm dich aber zusammen! Dieses kindische Geplapper ist ja nicht zu ertragen! Komm, wir trinken ein Bier zusammen, und dann reden wir!«
    »Mädchen!« sagte ich.
    »Was ist mit ihr?«
    »Sie ist da drin! Ein paar Hafenarbeiter haben mich niedergeschlagen, um sich an sie heranmachen zu können!«
    »Na los – dann komm!« Mit zwei Sätzen war Viburn durch die Kneipentür verschwunden.
    Ich eilte ihm nach. In den Knien hatte ich ein weiches Gefühl, und mein Kopf schmerzte fürchterlich. Ich konnte kaum die Augen offenhalten.
    Gleich hinter der Tür prallte ich gegen einen Rücken. Er gehörte Viburn. Mein Freund war nämlich nicht – wie ich es erwartet hatte – sofort zum Tisch der Hafenarbeiter gestürmt, sondern am Eingang stehengeblieben, um die Lage zu prüfen. Von hier aus konnte man den riesigen Schankraum recht gut überblicken. Mädchen saß mit vornübergesunkenem Kopf zwischen zwei Schauerleuten, die ihr die Arme um die Schultern gelegt hatten und ihren Oberkörper stützten. Sie mußte eine ungeheure Menge maraskanischen Weines getrunken haben.
    Viburn ließ seinen Blick durch den Raum wandern, schließlich musterte er nachdenklich einen betrunkenen Flußschiffer, der ganz in unserer Nähe auf einer Bank eingeschlafen war. Ich konnte noch immer keinen klaren Gedanken fassen. Abwechselnd starrte ich auf den Tisch, an dem Mädchen und die Schauerleute saßen – und auf meinen Freund, der so unvermittelt aus Borons Hallen zurückgekehrt war.
    »Bleib hier stehen!« raunte Viburn mir zu. Dann ließ er sich vorsichtig auf der Bank neben dem Betrunkenen nieder. Er sprach ihn an. Der Mann antwortete nicht. Er wachte auch dann nicht auf, als Viburn ihn behutsam an der Schulter berührte. Der Streuner grinste zufrieden und zog seinem Nachbarn die speckige Filzkappe (die übliche Kopfbedeckung der Flußschiffer) vom Kopf. Als nächstes kam die schwere schwarze Jacke des Schlafenden an die Reihe. Der Mann brummelte irgend etwas, griff auch einmal blindlings mit

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