Die Gabe der Amazonen
Klinge versank, stieß auf etwas Hartes, veränderte spürbar ihre Richtung. Also heraus mit dem Stahl! Neu angesetzt und wieder zugestoßen! Viburn war aufgewacht. Mit dem freien Bein trat er blindlings zu, traf den scheußlichen Kopf auf Lippen und Nase und rutschte doch immer näher an den Brunnenrand heran, hatte ihn schon fast erreicht.
Mädchens Säbelstumpf schrammte über den glatten Schädel, über den knochigen Augenwulst und blieb in der Augenhöhle hängen.
Da endlich klappten die Kiefer auf. Die Kreatur stieß schnaufend Luft aus Rachen und Nüstern, ließ ein blubberndes Ächzen hören, das eher verwundert als schmerzerfüllt klang.
Die Krallenhand fuhr hoch und erwischte Mädchen im Genick. Wasser schwallte auf, dann waren beide, das Tier und Mädchen, im Brunnen verschwunden. Aber Mädchens Kopf kam wieder hoch, kaum daß sich das Wasser über ihm geschlossen hatte. Ich packte ihre Haare, Viburn griff unter ihre Schultern. Wir zogen wie rasend. Mädchen krabbelte über den Rand, war frei. Da kochte das Wasser wiederum auf. Der triefende Schädel kam hoch, die Hand schoß vor, klammerte sich an Mädchens Wade fest.
Und plötzlich kniete Viburn am Brunnenrand, den langen Dolch in beiden Fäusten, hoch über dem Kopf erhoben. Der Stahl zuckte wie ein Blitz durch die Luft, bohrte sich in den feisten Arm, bis zum Heft hinein in die schwellende Masse. Das Ungeheuer benötigte nur einen kurzen Augenblick, um den Dolch mit den Zähnen herauszureißen, aber die Zeit reichte aus: Mädchen war endgültig in Sicherheit. Mit fliegender Eile zerrten wir sie durch die Tür, durch die wir in das runde Verlies gekommen waren.
Die Kreatur starrte uns aus einem blassen Auge nach – aus der anderen Augenhöhle troff wäßriges Blut. Sie hatte nur den Kopf aus dem Wasser erhoben, die verletzte Hand ruhte auf dem Brunnenrand.
»Die erste Runde ging an uns«, knurrte Viburn leise. »Jetzt, wo wir unseren Gegner kennen, ist alles nur noch halb so schwer.«
»Du willst es noch einmal versuchen?«
»Hast du einen anderen Vorschlag, Arve? Unser Ziel liegt hinter dem Gitter da drüben.« Er zeigte zur gegenüberliegenden Wand, wo immer noch meine Fackel flackerte. »Also werden wir es noch einmal mit diesem Fettwanst aufnehmen müssen ... Verdammt schnell, der Bursche! Hast du das bemerkt?«
»Hm.«
Er wandte sich Mädchen zu und fuhr sie empört an: »Wie siehst du überhaupt aus? Wie kommst du zu dieser Uniform? Bist du von allen Zwölfen verlassen? Man stiehlt einem toten Krieger nicht die Rüstung! Du bist doch kein Goblin!«
Mädchen hatte sich das schmerzende Genick massiert. Jetzt sah sie Viburn betrübt an. »Die Uniform gefällt dir nicht? Ich hätte sie nicht nehmen dürfen ...?« Sie schaute an sich hinunter, auf den Panzer, der weit von ihrem schmalen Körper abstand. »Ich weiß nicht, warum ich die Sachen genommen habe. Ich, ich ... Ich kann es nicht sagen. Ich habe nur plötzlich gewußt, es ist gut für mich, diese Rüstung zu tragen. Und ich werde sie nicht wieder ausziehen. Auch nicht, wenn du es befiehlst.«
Viburn runzelte einen Moment lang nachdenklich die Stirn, dann winkte er ab: »Laß gut sein! Wir haben im Augenblick ganz andere Sorgen.« Ächzend zog er das rechte Bein an und betastete seinen Stiefel, der von einer Reihe kleiner Löcher punktiert war. »Schön, daß das Biest nur mit mir spielen wollte, sicher hätte es meine kostbare Wade auch glatt durchbeißen können.«
Ich hatte wie Viburn und Mädchen am Boden gehockt, jetzt richtete ich mich auf. »Wenn wir es noch einmal versuchen wollen, dann jetzt!« Mein Blick fiel auf Mädchens Säbelstumpf. »Hm ... Viburn, wo ist deine Waffe?«
Er griff nach der leeren Scheide und deutete mit dem Kopf in Richtung Brunnen. »Und meinen Dolch habe ich auch verloren.«
Ich gab ihm meinen. »Gut, dann gehe ich voran. Du kommst als zweiter, Viburn, und Mädchen, du versuchst, nach hinten zu stürmen und Viburns Säbel aufzunehmen.« Nachdem ich tief durchgeatmet hatte, nahm ich den Degengriff in beide Hände, blickte über der Klinge den Kopf des Ungeheuers an und marschierte mit festen Schritten meinem Ziel entgegen. Dabei fragte ich mich verzweifelt, ob ich nicht einfach umkehren sollte ... Fort, nur fort von hier, hinauf in warmes Sonnenlicht ...
Noch ehe ich mich dem Brunnenrand auf zwei Schritte genähert hatte, tauchte das Ungeheuer unter. Viburn blieb ungläubig stehen, aber Mädchen lief an uns vorüber zur anderen Seite, um den Säbel
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