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Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
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Gedankenschnell wischte sie über den Brunnenrand und fegte einen Knochenhaufen zur Seite. Dann stemmte das Monster beide Hände auf den Steinboden ... O heiliger Phex! Das Untier wollte aus dem Wasser steigen!
    Es wälzte den Bauch auf die Steine, die Fettmassen breiteten sich auf dem Boden aus, aber es kam nicht aus dem Brunnen heraus. Vielleicht war sein Hinterleib zu schwer, vielleicht angekettet, vielleicht durch einen Zauber gehalten – das Untier konnte nur die obere Körperhälfte aus dem Brunnen heben.
    Trotzdem hätte es uns leicht erreichen können, wenn es in unsere Richtung vorgestoßen wäre, aber das tat es nicht – noch nicht. Es reckte sich hoch mit pendelndem Kopf – und glotzte uns an.
    Viburns Säbelspitze wanderte unendlich langsam nach oben. »Du möchtest, daß wir den Anfang machen, nicht wahr?« sagte er zu den starren Augen hinauf. »Oder wartest du auf einen Fluchtversuch?«
    Das Ungeheuer klappte die Kiefer auf und zu, in schnellem Takt, mehrmals hintereinander.
    »Du kannst nicht sprechen, was? Aber äffst mich nach? Bist nicht völlig blöd, hast Sinn für Humor?«
    Wieder klappten die Kiefer.
    »Hast du dieses Spiel mit all deinen Opfern getrieben?«
    Das Ungeheuer pendelte von einer Seite zur anderen.
    »Ich frage mich, ob dir schon einmal eine Beute mit einem Stachel begegnet ist.« Dabei hob Viburn den Säbel ein Stückchen höher. »Hast ja ein paar Schrammen abgekriegt, aber das werden wohl Bisse gewesen sein. Ich sage dir, laß uns in Ruhe! Wir werden dir nicht schmecken!«
    Die rechte Hand des Untiers huschte heran, unfaßbar schnell. Viburn warf sich zurück, stach zu, ritzte einen Speckwulst am Unterarm. Ein kleiner Spalt klaffte auf, helles Fett war zu sehen, ein, zwei Tropfen Blut.
    All das hatte kaum einen Wimpernschlag lang gedauert.
    Jetzt standen wir wieder auf unseren Plätzen, Mädchen rechts, Viburn links hinter mir, das Ungeheuer türmte sich vor uns auf, ständig pendelnd wie ein Faustkämpfer beim Turnier in Gareth.
    »Genug gespielt!« zischte Viburn. »Wir greifen an. Zugleich!«
    Wir stürzten vor, Viburn einen halben Schritt voran. Die Kralle traf ihn quer vor die Brust, schleuderte ihn zurück – irgendwo in die Dunkelheit hinter mir. Dann war es dicht vor mir. Mein Degen versank im faßdicken Hals, spielend leicht glitt er hinein. Neben mir hieb Mädchen quer in das aufgerissene Maul, so daß der Stahl auf den Zähnen klirrte. Mit beiden Händen riß ich den Degen heraus, sprang zurück, sah, wie auch Mädchen nach hinten flog.
    Viburn lag zu meiner Linken, lang auf den Boden gestreckt.
    Mädchen stand rechts, leicht nach vorn gebeugt, in der Hand den Griff ihres Säbels mit dem handbreiten Rest der Klinge. Etwas stimmte mit ihrer Kleidung nicht, aber ich nahm mir nicht die Zeit, sie anzuschauen. Das Ungeheuer schaukelte auf dem Brunnenrand, spuckte eben die Klinge aus, die zwischen seinen Zähnen geklemmt hatte.
    Um beide Hände frei zu haben, klemmte ich das Fackelende in einen Mauerspalt, dann suchte ich nach einer Stelle, die ich mit dem Degen getroffen hatte, entdeckte schließlich ein kleines rundes Loch, aus dem ein dünner Blutsfaden rann. Ob das Untier meinen Stich überhaupt gespürt hatte, war nicht zu erkennen.
    Die blassen Augen wanderten über uns hin, fanden Viburn. Gemächlich neigte sich die Walze in die Richtung, wo der Streuner lag. Uns schien sie gar nicht zu beachten.
    Mädchen stieß einen unterdrückten Laut aus und stürmte an mir vorbei, sprang mit gespreizten Beinen auf den fetten Leib wie auf einen Pferderücken, krallte sich in den Speckwülsten fest und hämmerte mit der abgebrochenen Klinge auf den blonden Schädel ein. Wie eine Amazone ritt sie – in Streifenrock und blinkendem Panzer – auf der plumpen Walze und schlug immer wieder zu. Ja, Mädchen trug tatsächlich eine Amazonenuniform. Sie hatte der toten Kriegerin ... Einen Moment lang war ich so verwirrt, daß ich den Degen sinken ließ.
    Inzwischen hatte das Ungeheuer die Kiefer um Viburns Unterschenkel geschlossen. Ruckweise zog es sich, den leblosen Streuner über den Boden schleifend, zum Brunnenrand zurück. Mädchens Schläge rissen die Kopfhaut des Monsters auf, die glatten fahlgelben Haare waren blutgetränkt, aber das Tier schien die Wunden nicht zu bemerken. Auch auf mich achtete es nicht. Ich packte den Degen mit beiden Händen, grub die Spitze in eine Falte zwischen zwei Ringwülsten am Oberkörper und stach zu, legte mein ganzes Gewicht in den Stoß. Die

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