Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Amazonen

Die Gabe der Amazonen

Titel: Die Gabe der Amazonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Kiesow
Vom Netzwerk:
nie ein guter Ratgeber, im Kampf ist er ein verhängnisvoller Verbündeter. Junivera wurde von der Wucht der eigenen Hiebe nach vorn gerissen, ihre von Wut und Haß geführte Hand fand nicht mehr die Zeit zu einem kaltblütig gezielten Streich.
    Mädchen wich den Schlägen mühelos aus. Sie riß den Kopf herunter, sprang hoch in die Luft, pendelte leicht nach rechts und links, ahnte jeden Hieb lange voraus und war immer schon fort, wenn die schwere Klinge sausend die Luft zerteilte. Dabei lächelte sie unentwegt. Nein, es war nicht etwa ein gepreßtes, mühsames Grinsen, wie man es manchmal bei einem seine Überlegenheit ausspielenden Raufbold in einem Wirtshaus beobachten kann, sondern ein heiteres, offenes Lächeln, eine Miene, die Juniveras Wut noch steigerte.
    Mädchen hätte schon viele Male in Juniveras offene Deckung hineinstoßen können, aber sie ließ sich Zeit. Offenbar lag ihr nichts daran, den Kampf zu beenden.
    Andererseits war Junivera eine geschulte Kämpferin, die nicht so schnell ermüdete. Wieviel Zeit mußte vergehen, bis die Erschöpfung sie überwinden würde? Gerade holte sie wieder weit nach hinten aus. Mit meiner Fechtkunst ist es nicht weit her, aber selbst ich konnte die Zielrichtung von Juniveras Schlägen ohne Mühe im voraus erkennen. Dieser Hieb würde waagrecht kommen, brusthoch und natürlich wieder mit unbeherrschter Wut.
    Mädchen wich nicht zurück. Sie riß die Arme über den Kopf und sprang in den Hieb hinein. Der Säbel klirrte auf ihren Panzer, flog der Geweihten aus der geprellten Hand.
    Mädchen stellte den Fuß auf die Waffe.
    Wie im Rausch bückte sich die Geweihte nach dem Säbelgriff, ohne ihre Gegnerin zu beachten. Mädchen riß sie an den Haaren hoch und schlug ihr die flache Hand ins Gesicht.
    »Schluß jetzt! Du hast verloren! Du wirst mich nie besiegen! Begreifst du denn das nicht?« Eine zweite schallende Ohrfeige. »Du kannst mich nicht besiegen, weil ich dich in deiner Schwäche gesehen habe. Also verschone mich mit deinem geifernden Haß! Nähere dich mir mit der Demut, die mir gebührt!«
    Ein seltsamer Satz, dachte ich, anmaßend und seltsam verschroben zugleich. Aber aus Mädchens Mund klang er fast natürlich, gerade so, als ob sie niemals anders gesprochen hätte. Auf Junivera hatte der Satz eine merkwürdige Wirkung: Ihre Schultern sackten herab, sie senkte die Augen und wandte sich um.
    Ich begegnete Viburns Blick. Ihm war deutlich anzusehen, wie sehr ihn die befremdliche Szene beschäftigte. Später setzte er sich zu mir, abseits von der Feuerstelle und den anderen. »Mädchen ist eine Amazone«, sagte er. Hätte er eben festgestellt, ›das Feuerholz geht zur Neige‹, seine Stimme hätte nicht nüchterner klingen können.
    Ich wartete stumm auf eine Erklärung.
    »Du hast gesehen, wie sie kämpft?« begann er. Ich nickte. »So kämpft kein Krieger. Das lernt man in keiner Waffenschule. Andererseits ist sie auch kein reines Naturtalent. Jemand hat sie ausgebildet, jemand, der alle Finessen und Finten kennt.«
    »Ich war in keiner Waffenschule«, warf ich ein. »Du auch nicht, soviel mir bekannt ist. Woher willst du wissen, daß sie anders als ein gelernter Krieger kämpft?«
    »Nun, es ist ihr Stil. Schließlich haben wir beide schon viele Berufskämpfer ihr Handwerk ausüben sehen. Diese Gefechte haben immer eines gemeinsam: Beiden Seiten geht es darum, so schnell und unumwunden wie möglich das Ziel zu erreichen – den Sieg.«
    Ich nickte. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Mädchen geht es nicht so sehr um den Sieg. Es ist der Kampf selbst, auf den es ihr ankommt. Sie zieht ihn bewußt in die Länge, gerade dann, wenn sie sich überlegen fühlt.«
    »So ist es. Und genauso halten es die Amazonen. Das habe ich jedenfalls immer wieder erzählen hören.«
    »Ach was, über die Amazonen wird viel erzählt ... Und selbst wenn die Geschichten stimmen. Vielleicht ist Mädchen einfach ein wenig grausamer als die meisten Kriegerinnen.«
    Viburn winkte ab. »Du weißt, daß das nicht stimmt. Wäre sie tatsächlich grausam, wie leicht hätte sie Junivera auf eine schmerzvoll langsame Weise töten können. Nein, sie hat ihr nicht einmal eine Wunde zugefügt, wie sie selbst eine davongetragen hat.« Ich schaute zu Mädchen hinüber, auf ihre linke Schulter und den festen Verband, den ihr Junivera auf ihr Geheiß umgelegt hatte. Ja, Viburns Beobachtungen waren richtig. Mir fielen andere kleine Begebenheiten ein, die ich bis dahin kaum beachtet hatte: »Erinnerst

Weitere Kostenlose Bücher