Die Gabe der Amazonen
du dich, wie merkwürdig sie sich verhielt, nachdem wir im Tunnel gegen die beiden Amazonen gekämpft hatten?«
»Natürlich. Jedesmal, wenn ich Mädchen in dieser Uniform sehe, muß ich daran denken.«
Nach einer Pause sagte ich: »Nehmen wir an, du hast recht. Wieso haben wir sie als wildes Findelkind in den Trollzacken aufgelesen? Sie ist noch jung. Warum hat sie ihr Volk verlassen? Weshalb kann sie sich nicht an ihre Kindheit erinnern?«
Viburn zuckte mit den Schultern. »Das sind Fragen, auf die ich selbst gern eine Antwort wüßte. Vielleicht hat ihr Volk sie verstoßen.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, nach allem, was ich über die Amazonen weiß. Es gibt grausame Strafen für Kriegerinnen, die über die Stränge schlagen – Spießrutenlaufen ist eine der harmloseren. Ich habe schon gehört, daß einer Amazone wegen einer Lappalie, einer Liebesgeschichte, der Kopf abgeschlagen wurde – aber davongejagt ...? So eine Ausgestoßene könnte doch alle Geheimnisse Kurkums ausplaudern.«
Viburn sah mich gedankenverloren an. »Nicht, wenn man ihr vorher das Gedächtnis nimmt!«
Wir blickten gleichzeitig zu Mädchen hinüber. Sie schien unseren Blick zu spüren und lächelte uns zu. Im roten Flammenschein sah sie sehr jung, hübsch und begehrenswert aus. Der weite Brustpanzer umgab ihren Körper wie eine fremde Hülle, wie eine Verkleidung. Eben noch hatte ich Viburns Überlegungen völlig einleuchtend gefunden, jetzt, bei diesem Anblick, war ich mir meiner Sache nicht mehr so sicher. Ach Mädchen, wenn du dich doch erinnern könntest! Ich verspürte plötzlich eine tiefe Sehnsucht nach ihren Umarmungen, die ich seit Viburns Rückkehr nicht mehr genossen hatte. Dann fiel mir mein Abenteuer im Schwarzen Bären ein, wo ich mit Dedlana das Lager geteilt hatte. Ich hatte gespürt, wie eine Amazone liebt: ein wenig schüchtern, ein bißchen ungeschickt, aber dann voller Kraft und Leidenschaft. Wie völlig anders war Mädchens geschmeidige Zärtlichkeit ...
Sie kam zu uns herüber und setzte sich zwischen uns. »Ihr redet über mich, nicht wahr?«
Uns beiden fiel keine kluge Antwort ein.
»Wie geht es deiner Schulter?« fragte Viburn. »Schmerzt sie sehr?«
Mädchen hob den linken Arm und schnitt eine Grimasse. »Nur, wenn ich den Arm bewege, sonst spüre ich es kaum.«
»Du bist eine überragende Kämpferin«, sagte ich, »und hättest Junivera viel schneller besiegen können. Warum hast du es nicht getan?«
Mädchen starrte eine Weile nachdenklich in den Nebel.
»Weil es mir so gefiel. Einen anderen Grund habe ich nicht.«
»Während ihr kämpftet, hast du dich da vielleicht an etwas erinnert?« fragte Viburn eindringlich. »An Fechtstunden zum Beispiel – oder hat dir eine innere Stimme gesagt, wie du dich bewegen sollst?«
»Kalt ist es hier – warum sitzt ihr nicht beim Feuer?« Mädchen legte sich den schwarzen Umhang enger um die Schultern. »Es ist seltsam, Viburn. Jetzt, da du mich danach fragst, fällt es mir wieder ein: Ich sehe manchmal eine Frau mit einem Schwert in der Hand. Sie ist nicht mehr jung, aber groß – und hat breite Schultern. Mir scheint es jedesmal so, als ob sie mir etwas sagen wollte – vielleicht tatsächlich einen Ratschlag für einen Kampf, vielleicht auch etwas ganz anderes –, aber bevor ich ihr zuhören kann, ist sie immer schon wieder verschwunden.«
»Könnte die Frau deine Mutter sein?«
»Ich glaube nicht, Arve. Sie sieht mir gar nicht ähnlich. Aber ihr Anblick ist mir angenehm, obwohl ich mich immer ein bißchen vor ihr fürchte ...«
»Viburn glaubt, du könntest eine Amazone sein ...«
»Merkwürdig, das habe ich auch schon mehrmals gedacht. Ich weiß gar nichts über diese Frauen, aber ich habe immer wieder so ein merkwürdiges Gefühl: als ich zum ersten Mal diese Uniform sah« – sie klopfte mit der rechten Hand gegen ihren Brustpanzer – »und häufig, wenn von den Amazonen die Rede ist.«
»Gefällt dir der Gedanke, du könntest eine dieser Kriegerinnen sein?« fragte ich.
Mädchen nickte. »O ja, sehr.«
»Als wir dich fanden, warst du ganz allein – keine Amazonen in der Nähe. Viburn fürchtet, sie könnten dich aus ihrem Volk ausgestoßen haben. Vielleicht könnte es für dich gefährlich werden, wenn du ihnen begegnest.«
»Nun, dann werde ich ihnen einstweilen aus dem Wege gehen«, erwiderte Mädchen unbekümmert.
»Das wird auf die Dauer schwer möglich sein«, wandte ich ein. »Schließlich sind wir unterwegs nach Kurkum, der
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