Die Gabe der Magie
die
Frau mit einer Stimme, die so voller Mitleid war, dass sich Sadima abwenden
musste und so tat, als würde sie sich die kleinen Ortschaften an den Kreuzungen
ansehen, durch die sie fuhren.
Waisenkind.
Die Frau sprach nicht mehr, bis sie einen
Hügelkamm erklommen, von dem aus man hinab auf Limori schauen konnte. Riesige
Felshänge erhoben sich an einem Ende der Stadt, und Sadima konnte einen Streifen
offenen Wassers durch die Bäume sehen, die den Hang säumten. War das das Meer?
»Warst du schon mal in der Stadt?«, fragte
die Frau. »In irgendeiner Stadt?«
Sadima schüttelte den Kopf, als die
Kutsche wieder bergab fuhr. Sie wollte höflich sein und mit dieser netten Frau
plaudern, aber es schien ihr unmöglich. Und das Schweigen erlaubte es ihr, sich
umzusehen und alles in sich aufzunehmen, was an ihnen vorbeirollte.
Zuerst waren es kleinere Höfe, irgendwann
immer winzigere Gehöfte und schließlich nur noch Häuser. Und dann schienen sich
die Gebäude mit jedem Schritt der fuchsfarbenen Rösser dichter aneinanderzudrängen.
Bald schon wurden die stolzen Pferde gezwungen, im Schritt zu gehen. Hunderte
von Karren rollten vor ihnen auf der Straße entlang.
Sadima war über den Punkt hinaus, an dem
sie noch staunen konnte. Da gab es Gebäude, die so hoch in die Luft ragten, als
wären drei oder vier Häuser übereinandergestapelt worden, und sie waren aus
dunklen Steinblöcken gebaut. Hatten die Vorfahren all jener, die nun hier
lebten, zum alten Volk rings um Ferne gehört, das die Steinkreise errichtet
hatte?
Sadima konnte sich nicht sattsehen. Da gab
es Läden und Märkte, wohin sie auch schaute, und die Frauen trugen alle reine
Kleider in leuchtenden Farben. Sie wandte sich der Frau zu. »Ich werde auf dem
Marktplatz nach Franklin fragen. Wissen Sie, wo der Platz liegt?«
Die Frau nickte und rief dem Kutscher
Anweisungen zu. Die stolzen Pferde bogen die Hälse, als er die Peitsche über
ihren Rücken schnalzen ließ und am äußeren Zügel nachließ, damit sie an der
nächsten Ecke abbogen. Die Straßen wurden nun schmaler und waren von Karren
verstopft, auf die Früchte geladen waren, die Sadima noch nie gesehen hatte,
und Stoffe in so vielen Tönen, dass sie sich unwillkürlich fragte, was um alles
in der Welt die Grundlage für alle diese Farben sein mochte. Und es gab Dinge,
für die sie keinen Namen hatte. Viele Dinge.
Die Pferde wurden noch langsamer und
mussten immer wieder stehen bleiben und erneut anziehen, um im Gewimmel von
Karren vorwärtszukommen. Sie schüttelten ihre Mähnen. Sadima fühlte sich
winzig. Es waren mehr Menschen auf dem Marktplatz versammelt, als sie in ihrem
ganzen Leben gesehen hatte. Wen sollte sie fragen? Dann erhaschte sie den Blick
auf einen schwarzen Umhang und stand halb auf. Die Frau hob die Brauen.
»Hier?«
Sadima nickte: »Bitte. Und vielen Dank,
dass Sie so freundlich zu mir waren.«
»Mein Name ist Kary Blae«, sagte die Frau.
»Ich lebe auf dem Ferrin Hill. Du kannst jeden fragen, wo das ist. Wenn du
etwas brauchst, dann sag der Wache einfach, dass ich dich gebeten habe, zu mir
zu kommen, und dann nenn ihr deinen Namen.« Sie hob den Kopf. »Hier anhalten,
Kutscher.«
»Danke«, wiederholte Sadima, als das
Gespann zum Stehen gekommen war. Die Pferde stampften mit den Vorderhufen und
zuckten mit dem Schweif. Sie nahm ihr Bündel und sprang zu Boden, noch ehe der
Lakai ihr helfen konnte.
16
DER ZAUBERER HÄMMERTE GEGEN DIE TÜR. – ICH
FUHR AUF, UND MEIN HERZ SCHLUG HEFTIG. WAR ES MOR GENS? Vielleicht. Ich war hungrig. Mit den Händen rieb ich
mir über das Gesicht und blinzelte in die Dunkelheit. Mein Nacken war steif;
die Betten hatten kein Kopfkissen. Ich konnte hören,
wie sich Fischjunge an seiner Lampe zu schaffen machte. Meine hatte ich noch
kein einziges Mal entzündet. Wie lange er wohl noch wach gewesen war und das Buch
gelesen hatte, ehe auch er zu Bett gegangen war?
Wieder pochte der Zauberer. Ich rief, dass
wir so schnell wie möglich kommen würden.
Plötzlich erfüllte Licht den Raum, und als
ich meine Beine aus dem Bett schwang, fühlte ich den Schmerz in meinen aufgerissenen
Füßen. Der Umhang kratzte im Nacken, als ich aufstand. Es war unangenehm, unter
dieser rauen Kleidung vollkommen bloß zu sein. Meine Oberschenkel rieben bei
jedem Schritt aneinander. Der Umhang schabte über meinen nackten Penis, wenn
ich meine Arme hob und mich streckte. Ich trat auf den Saum. Wie lange würde
diese Quälerei noch andauern?
Ich hörte
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