Die Gabe der Magie
Fackeln?
Am nächsten Morgen ließ eine Frau in einem
wunderschönen blauen Kleid ihren Kutscher anhalten. Die großen Räder
knirschten, als die Pferde langsamer wurden.
»Woh er kommst du?«, rief die Frau Sadima zu.
»Aus Ferne, weit oben in den Hügeln«, rief
sie zurück. »Ich bin auf dem Weg nach Limori.« Dann starrte sie die Kutsche an.
Sie war mit hübschen Bändern in Kastanienbraun und Gold bemalt, und die Radbremsen
waren mit blitzendem Kupfer verziert.
Als Sadima aufsah, lächelte die Frau sie
mit weit aufgerissenen Augen an. »Du musst seit mindestens vierzehn Tagen auf
den Beinen sein, wenn du so weit gelaufen bist. Bist du allein unterwegs?«
Sadima nickte. »Aber ich kenne jemanden in
der Stadt. Sein Name ist Franklin. Er hat mich gebeten, zu ihm zu kommen.« Sie
sah, wie sich auf dem Gesicht der Frau ein Ausdruck von Mitleid breitmachte,
und sie wusste selbst, wie dumm dies wirken musste, und wie viel schlimmer noch
es für die Frau klingen würde, wenn sie wüsste, dass sie Franklin nur ein
einziges Mal getroffen hatte, was auch schon drei Jahre her war.
»Ist dieser Franklin ein Eridianer?«,
fragte die Frau ernst.
Sadima schüttelte unsicher den Kopf. Sie
hatte dieses Wort noch nie zuvor gehört.
»Bist du sicher?«,
fragte die Frau noch einmal, und ih re Stimme klang drängend. »Sie sind böse. Mein Mann sagt, dass sie
Mädchen vom Land in die Stadt locken, um sie dort in eine Ehe zu zwingen.«
»Nein«, sagte Sadima nachdrücklich. »Er
ist kein Eridianer.«
Die Frau schnippte mit den Fingern. Der
Lakai stieg ab, während der Kutscher die unruhigen, schönen rostbraunen Pferde
bändigte. »Komm«, sagte die Frau. »Du kannst deine Füße ausruhen.«
Sadima war sprachlos. Es war eine Sache,
eine Kutsche wie aus einer Prinzessinnengeschichte vor ihren Augen auftauchen
zu sehen, aber gebeten zu werden, mitzufahren, war etwas ganz anderes. Die
Sitze waren aus grünem Samt, gepolstert und ganz weich. Und die Pferde! Sie
waren edler als alle, die sie bislang gesehen hatte, schlank und gestriegelt,
und sie trugen ihre Köpfe sehr hoch. Als sie sich ihnen zuwandte, konnte sie
ihren Stolz und ihre Stärke spüren. Sie hatten nicht anhalten wollen, und sie
waren versessen darauf, sich endlich wieder in Bewegung zu setzen. Sie
fürchteten sich vor nichts.
Errötet und beschämt über ihr
verschmutztes Baumwollkleid, ließ sich Sadima vom Lakaien über die ausgezogenen
Stufen in die Kutsche helfen. Unsicher setzte sie sich auf die Bank, der Frau
gegenüber, und umklammerte ihr schmutziges Schultertuchbündel. Die Frau machte
eine Handbewegung, und der Kutscher lockerte die Zügel. Sofort fielen die
Pferde wieder in scharfen Trab, und die Kutsche machte einen Satz. Sadima drehte
sich mühsam um und schaute über ihre Schulter zurück.
»Du kannst neben mir sitzen«, schlug die
Frau vor. »Ich vertrage es nicht, rückwärts zu fahren und in die falsche
Richtung zu schauen. Davon wird mir schlecht.«
Sadima stand auf und wechselte die Seiten.
Die Bank war breit, und sie setzte sich so weit von der Frau entfernt, wie es
möglich war. Ein starker Geruch von Rosen umspielte sie. Sadima presste die
Arme an die Seiten und hoffte, dass ihr eigener ungewaschener Geruch nicht die
weiche Morgenluft überlagerte. Sie versuchte, sich irgendetwas einfallen zu
lassen, das sie sagen konnte, aber es gelang ihr nicht. Schließlich brach die
Frau das Schweigen, indem sie sie nach ihrem Alter fragte.
»Ich bin siebzehn«, antwortete Sadima
höflich. Es war schwer, die Frau nicht anzustarren. Das Kleid der Frau war
reich bestickt, und die Fäden waren so fein und die Stiche so klein, dass es
beinahe unmöglich zu sein schien. Wer konnte eine so zarte Arbeit anfertigen?
Ihre Schuhe waren aus weichem Leder, das wie Flusskiesel in der Sonne glänzte.
Sadima ließ den Blick über die Landschaft wandern, um nicht länger zu glotzen. Einige
Zeit lang rollten sie schweigend dahin, bis die Frau sie nach ihrem Namen
fragte und danach, ob ihre Eltern wussten, wo sie war.
Sadima nannte der Frau ihren Namen und
zögerte. »Ich habe keine Eltern mehr«, sagte sie, dann konnte sie einen ewig
scheinenden, schmerzhaften Augenblick lang kein weiteres Wort hervorbringen.
»Mein Vater ist kürzlich gestorben«, fügte sie mühsam hinzu. »Aber meine Mutter
starb …« Sadima brach ab. Sie schaffte es nicht, über ihr Zuhause und ihre
Familie zu sprechen. Tränen traten ihr in die Augen.
»Du armes, kleines Waisenkind«, sagte
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