Die Gabe der Magie
.
In den Zweigen der Bäume machten die
Elstern Lärm, und Sadima sah, wie ein Eichhörnchen auf einem breiten Ast
entlanghuschte. Sie spürte seine Eile und dass es von irgendetwas gedrängt
wurde. Sadima holte tief Atem und fühlte, wie die frische Luft hier draußen im
Grünen ihre Lungen füllte, dort eine Wendung beschrieb und wieder aus ihrem
Munde austrat. Dieser einfache Vorgang beruhigte ihr Herz und ihren Geist. Es
war wunderschön hier. Und es war so ruhig .
NACHDEM SIE ALLES AUFGEGESSEN HATTEN,
STRECKTEN SICH FRANKLIN UND SOMISS IM GRAS AUS, verschränkten
die Hände hinter den Köpfen und unterhielten sich. Sadima zog ihre Schuhe aus
und spazierte in den Wald hinein. Sie sah Waschbären, ein Reh und eine lange,
dunkle Schlange, die über ihre Grube nachdachte, in der es kühl und geschützt
war und die gar nicht mehr weit entfernt lag.
Eine Zeit lang setzte sich Sadima allein
in den Wald und fragte sich, wie es Micah ging und ob er mit dem Pflügen
zurechtgekommen war. Sicherlich hatten ihm Larans Brüder geholfen, nun, wo Papa
nicht mehr da war, der dagegen Einwände erhoben hätte. Und Micah würde im Gegenzug
ihnen helfen, wenn die Zeit für die Ernte gekommen war. Seine Kinder würden
Mattie Han zur Großmutter haben. Das Winterfest würde nun eine glückliche Zeit
in dem kleinen Bauernhaus sein. An Geburtstagen würde gefeiert und nicht getrauert.
Franklin und Somiss sprachen noch immer
miteinander, als Sadima zur kleinen Lichtung zurückkehrte. Das Gespräch hatte
eine ernste Wendung genommen, was Sadima sofort bemerkte.
»Machst du mit uns einen Spaziergang?«,
fragte Franklin, als er einige Minuten später aufsah. Sadima begriff, dass er
weder ihr Weggehen noch ihre Rückkehr bemerkt hatte.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde
hierbleiben. Ich möchte ein wenig malen.«
Franklin nickte, und die beiden Männer
brachen auf, sodass sie allein zurückblieb.
ALS SADIMA IHRE PINSEL ORDNETE, WAR IHR
FAST SCHWINDELIG VOR FREUDE. ES WAR WUNDERBAR, im Freien
zu sein und zu malen. Sie suchte sich einen uralten Baum, dessen Wunden, die
von einem Blitzschlag zu stammen schienen, bereits wieder geheilt waren und der
eine seltsame Silhouette hatte. Gerade, als sie mit der Studie fertig und die
Farbe getrocknet war, hörte sie Somiss und Franklin zurückkom men. Das Künstlerpapier hatte sie wieder in ihrem
Bün del verstaut und ihre Pinsel und die Farben weggepackt, als die
Männer die Lichtung betraten.
»Ich habe eine Treppe gefunden«, sagte
Franklin, »die unmittelbar in den Felsen gehauen wurde.«
»Sie ist alt«, fügte Somiss hinzu.
»So alt, dass der Regen die Kanten der
Stufen rund geschliffen hat«, berichtete Franklin. »Sie sind über und über mit
Wein und Moos bewachsen. Wir haben noch nicht herausgefunden, wie weit empor
sie führt, aber mindestens den halben Hang hoch, und …«
»Der Hang ist so gekrümmt, dass man den
obigen Felsen nur aus sehr großer Entfernung sehen kann«, unterbrach ihn
Somiss.
»Zehn oder zwölf Leute haben uns eine
Geschichte von einer steinernen Stadt erzählt, und wir …«, begann Franklin.
Doch schon packte ihn Somiss am Unterarm, und Franklin verstummte.
»Ihr zwei müsst schwören, niemals jemandem
von diesem Ort zu erzählen«, sagte er. »Niemals.«
Franklin legte die Hand auf sein Herz.
»Ich schwöre es. Beim Grab.«
Sadima wiederholte die Worte, aber sie
brachte es nicht über sich, ihre Hand aufs Herz zu legen. Sie sah Somiss’ Blick
zu Franklin huschen, aber das war ihr egal. Konnten sie sich denn nicht selbst
hören? Sie klangen beide wie kleine Jungen,
die todernst gelobten, nieman dem je von ihrem eingebildeten Königreich
zu berichten.
36
FRANKLIN WAR OFT SCHON DA, WENN WIR KAMEN,
ABER NICHT IMMER. MANCHMAL saßen wir alle ruhelos und schweigend dort, und es fühlte sich
wie eine Ewigkeit an, bis er durch die Tür kam.
Wir rochen entsetzlich, aber ich glaube
kaum, dass das noch irgendjemanden interessierte. Mich jedenfalls nicht. Ich
war beinahe froh, was verrückt klingt, aber so war es. Langsam begann ich zu
glauben, dass ich weiterleben würde, wenigstens noch ein bisschen länger. Ich
wurde richtig gut darin, mir die Wege durch die Tunnel zu merken. Und ich aß
besser. Viel besser.
Inzwischen hatte ich auch einen Weg
ersonnen, allein essen zu können. Gerrard tat das Gleiche. Beinahe jeden Tag
roch ich Fisch in seinem Atem. Aber nach Franklins Unterricht gingen wir
gemeinsam zum Speisesaal, wie wir es stets gemacht
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