Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
rief sie verzweifelt.
"Bleiben Sie ganz ruhig, ich bin gleich bei Ihnen", erwiderte ich. "Hallo?"
Das Gespräch war unterbrochen worden.
Ich griff nach meiner Jacke und der Handtasche und war schon halb auf dem Sprung. Zwei Schritte von meinem Schreibtisch im Großraumbüro unserer Redaktion entfernt, lief ich meinem Kollegen Jim Field in die Arme. Jim war genauso alt wie ich und als Fotograph bei den LONDON EXPRESS NEWS
angestellt. Eine Kamera hing ihm um den Hals und verknitterte den bereits hoffnungslos ruinierten Kragen seines Jacketts. Es war kariert und wirkte ziemlich geschmacklos. Die abgewetzte Jeans, die er dazu trug, schien eine Art Museumsstück zu sein. Jim machte eine ruckartige
Kopfbewegung. Das etwas lange blonde Haar wurde auf diese Weise aus seinem Gesicht gefegt.
Er lächelte mich an.
"Hallo, Patti - so eilig?"
"Hast du Tom irgendwo gesehen?"
"Der ist wegen irgendeiner Sache unterwegs - aber frag mich nicht wegen welcher. Jedenfalls fuhr er gerade vom Parkplatz herunter, als ich hinaufwollte. Um ein Haar hätte sein Volvo meinem edlen Oldtimer eine nicht wieder gutzumachende Schramme verpaßt."
Sein edler Oldtimer war in Wahrheit eine Rostlaube, von der man annehmen konnte, daß sie sofort zu rostbraunem Staub zerfiel, sobald man ihr einen zu strengen Blick zuwarf.
"So ein Mist!" murmelte ich.
"Na, ihr seht euch doch sicher noch privat."
"Ha, ha!"
"Du sollst übrigens zum Chef kommen", meinte Jim dann wieder etwas ernster. "Ich habe Mr. Swann unten auf dem Flur getroffen..."
"Ich habe jetzt keine Zeit für ihn."
"Für unseren Chefredakteur?"
"Du kannst ihm das ja auf charmante Weise beibringen, Jim!
Eine Story ruft und da wäre Swann wohl der Letzte, der kein Verständnis dafür hätte."
"Wenn du ihm nicht begegnen willst, solltest du die Treppe nehmen - und nicht den Aufzug!" Er zwinkerte mir zu. "Es sei denn, du hast Pech und Mr. Swann bezieht die Gesundheitstips der NEWS endlich mal auf sich selbst..."
*
Es war naßkalt. Ein Gemisch aus Regen und Schnee rieselte aus dem grauen Himmel heraus. Es war gar nicht so leicht, in der Nähe der Thornhill-Villa noch einen Parkplatz zu bekommen, der für meinen kirschroten 190er Mercedes ausreichte. Überall parkten bereits Wagen. Einen davon erkannte ich. Es war ein blauer Ford, von dem ich wußte, daß Inspektor Barnes damit seine Dienstfahrten zu absolvieren pflegte.
Das kann ja heiter werden! ging es mir durch den Kopf. Ein kalter Wind schlug mir entgegen, als ich den Wagen verließ und zur Haustür ging.
An der Tür begrüßte mich ein etwas unschlüssig wirkender Scotland Yard-Beamter in Zivil. Dann erschien Mrs. Thornhill.
"Gut, daß Sie da sind, Miss Vanhelsing! Hier ist wahrhaft der Teufel los..."
Sie führte mich in den weitläufigen Salon, indem wir vor einigen Tagen zusammen gesessen hatten.
Überall machten sich Kriminalbeamte an den Möbeln zu schaffen.
"Ich wußte nicht, was ich tun sollte!" sagte Mrs. Thornhill und strich sich mit einer fahrigen Handbewegung das Haar zurück. Sie wirkte verzweifelt. "Wissen Sie, was diese Leute behaupten? Sie meinen, daß mein Mann..." Sie schluckte. "Daß
er..."
Sie sprach nicht weiter, als die massige, breitschultrige Gestalt von Inspektor Barnes auftauchte.
Er grinste schief.
Sein mißbilligender Blick traf Mrs. Thornhill. "Ich hatte Ihnen doch geraten, einen Anwalt anzurufen - und nicht die Presse!" sagte er mit deutlichem Tadel im Tonfall.
"Miss Vanhelsing genießt mein volles Vertrauen!" Barnes zuckte die Achseln.
"Sie können Ihr Vertrauen ja verschenken, an wen Sie wollen, Mrs. Thornhill... Aber etwas wählerischer wäre ich da an Ihrer Stelle schon..."
"Wie ich sehe gibt es neue Erkenntnisse!" stellte ich indessen kühl fest. "Anders ist das, was hier geschieht ja wohl nicht zu interpretieren..."
Barnes nickte.
"Ich bewundere Ihren Scharfsinn, Miss Vanhelsing!" sagte er dann ironisch. "Wenn Sie mich fragen, dann ist dieser Fall weitgehend geklärt..."
"Ach!"
"Sir Malcolm Thornhill hatte nachweislich Kontakte zur sibirischen Wilderer-Mafia. Er hat wiederholt Sendungen mit Präparaten von Amur-Tigern von dort erhalten. Natürlich waren die Sendungen anders deklariert und angeblich zu
Forschungszwecken bestimmt. Ich nehme an, daß der harmlos wirkende Gelehrte Thornhill als Strohmann zwielichtiger Hintermänner diente. Wissen Sie, wie hoch der Preis ist, den man für das Fell eines Amur-Tigers oder einem Präparat aus seinen Knochen bekommt? Sie können es in
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