Die Gabe der Patricia Vanhelsing - 5 Patricia Vanhelsing-Romane (Sonderband) (German Edition)
ihres Mannes vielleicht etwas überschätzt?" meinte Tom auf unserer Fahrt Richtung City.
"Nein", erwiderte ich. "Ich glaube, daß alles, was sie sagt der Wahrheit entspricht."
"Du hattest eine Vision?"
"Ja. In dem Moment, als ich auf die Zeichnung auf dem Tisch blickte."
"Was hast du gesehen?" frage Tom.
"Eine Höhle... Darin waren Berge von Knochen. Knochen von Tigern!"
"Bist du eine Zoologin, daß du die Knochen eines Tigers von denen anderer, gleichgroßer Säugetiere unterscheiden kannst?"
"Tom, ich weiß es einfach", erwiderte ich - vielleicht eine Nuance zu heftig.
"Trotzdem kann es sicher nicht schaden, wenn wir uns auch die Version von Scotland Yard anhören..."
"Natürlich nicht. Aber als erstes stellen wir Mr. Garrison ein paar Fragen..."
Garrisons Wohnung lag in einem fünfstöckigen Altbau an der Leicester-Street. Eine gute Adresse. Allerdings war Norman Garrison nicht zu Hause. Sein Briefkasten quoll über und von einer anderen Bewohnerin des Hauses erfuhren wir, daß
Garrison vor zwei oder drei Tagen mit einem Koffer in ein Taxi gestiegen war.
"Scheint, als hätte Mr. Garrison sich aus dem Staub gemacht", meinte Tom.
"Ich frage mich, ob er dieses Kästchen mit dem Knochenpulver bei sich hat."
"In dem Fall ist nur zu hoffen, daß die Zollkontrollen gründlich sind. Soweit ich weiß, sind Ein-und Ausfuhr solcher Präparate nämlich verboten. Schließlich gehören Tiger zu den bedrohten Tierarten..."
"Und dennoch wird damit gehandelt. Ich würde mir in der Richtung nicht allzu viele Hoffnungen machen."
*
Eine halbe Stunde später saßen wir bei Scotland Yard im Büro von Inspektor Gregory Barnes. Seine massige Erscheinung wirkte einschüchternd. Seine ziemlich kurzgeschorenen Haare standen senkrecht nach oben. Auf seinen Lippen stand ein leicht spöttisches Lächeln.
Er hatte nicht viel für mich übrig.
Wir waren uns bereits einige Male über den Weg gelaufen und dabei mitunter recht heftig aneinandergeraten. Barnes war ein knochentrockener Beamter, dem einfach die Fantasie fehlte, sich etwas vorzustellen, das auch nur einen Zoll vom vorgezeichneten Weg abwich. Er glaubte nur das, was sich zweifelsfrei beweisen ließ. Und aus diesen Fakten baute er dann, was er Theorien nannte. Allerdings hatte er sich dabei auch schon ziemlich verhauen. Ein Patentrezept war seine Vorgehensweise also nicht.
Jedenfalls hielt er mich bestenfalls für eine Spinnerin, die man nicht ernst zu nehmen brauchte. Zumeist sah er in mir allerdings wohl eher eine lästige Nervensäge.
"Ah, Miss Vanhelsing!" begrüßte er mich. "Ich hätte mir ja denken können, daß wir uns bei diesem Fall über den Weg laufen! Er hat ja auch alles, was Ihresgleichen so braucht, um daraus eine Story um Hokuspukus und angebliche okkulte Phänomene zu zaubern! Ein Mord, dessen Tathergang noch nicht hundertprozentig geklärt werden konnte, ein etwas wirrer alter Mann, der sich den Lebensabend mit irgendwelchen Phantastereien und Hirngespinsten vertrieb..."
"Nun, eigentlich sind wir nur hier, um etwas darüber zu hören, ob es eventuell schon Fortschritte in Ihren Ermittlungen gibt, Inspektor Barnes", erwiderte ich. Barnes - der sich bei früheren Zusammenkünften wenigstens noch die Mühe gemacht hatte, uns etwas von dem dünnen Kaffee anzubieten, den es hier gab - zog die Augenbrauen in die Höhe und lehnte sich in seinem Drehsessel zurück.
"Tut mir leid, Miss Vanhelsing!"
"Was soll das heißen?"
"Das soll heißen, daß wir aus fahndungstaktischen Gründen keine Informationen an die Öffentlichkeit geben können..."
"Für mich klingt das eher so, als wären Sie noch nicht besonders weit gekommen!" erwiderte ich.
Barnes zuckte die breiten Schultern.
"Nennen Sie es, wie Sie wollen. Auf die Wahrheit pflegt Ihr feines Blatt ja ohnehin kaum Rücksicht zu nehmen. Die Leser werden also kaum merken, wenn Sie sich einfach irgend etwas aus den berühmten Fingen saugen!" Und dann schnellte plötzlich sein Zeigefinger in meine Richtung und sein Gesichtsausdruck wurde sehr viel ernster. Dicke Furchen bildeten sich zwischen seinen Augen. Er fuhr fort: "Wenn Sie allerdings auf die Idee kommen sollten, mir falsche Zitate in den Mund zu legen, werde ich dafür sorgen, daß umgehend rechtliche Schritte gegen Sie und Ihr Revolverblatt eingeleitet werden!"
"Keine Sorge, Inspektor Barnes. Ich werde Sie mit keiner Zeile erwähnen!"
"Das ist gut so..."
"Darf ich also schreiben, daß Scotland Yard immer noch auf der Suche nach einem entlaufenen
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