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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und nicht erwartet, so schnell erlöst zu werden.
    »Eine Frage noch, Meister Odo«, murmelte Karl, als die Tür schon offen stand. Sie erstarrten allesamt, wissend, worauf der alte Baumeister jetzt zu antworten hatte.
    »Sag mir nur noch eines: Worin lag die Schwierigkeit, mir zuvor zu erläutern, dass euer hölzernes Zeltdach das eigentliche Lehrgerüst ist; was zum Teufel war daran so kompliziert?«
    »Es lag am Zeitpunkt, mein Kaiser«, antwortete Odo, verzweifelt nach Worten fahndend. »Es wäre höchst ungünstig gewesen, vor der Aushärtung des Mörtels, in den die Eisenringanker gebettet sind, das Mauern der Kuppel überhaupt in Angriff zu nehmen.«
    »Das beantwortet meine Frage nicht.«
    Odo blickte zu den beiden jungen Leuten.
    Ezra, die eifrig etwas auf ihr Wachstäfelchen geschrieben hatte, trat vor.
    »Ja, Architectulus?«
    Sie legte ihr Wachstäfelchen auf den Tisch.
    »Das beste Wissen ist das, was du kennst, wenn du es brauchst«, las Einhard stotternd und unter sichtlichem Entsetzen laut vor.
    Karls Augen verengten sich.
    »Du wagst es, Diener, so zu mir zu sprechen!«, donnerte er.
    Ezra missverstand die Anrede. Dirne hörte sie und schlug entgeistert die Hand vor den Mund. Sie sah sich nackt im Badehaus, als ihr der damalige König diesen Satz entgegengeschleudert hatte. Damals waren sie allein gewesen, jetzt aber hatte er ihr wahres Sein vor den anderen enthüllt. Woher diese plötzliche Wut? Über eine Weisheit, die in ihrer Heimat jedes Kind kannte? Die Jahre zuvor König Ludwig ebenfalls erzürnt hatte, wie ihr jetzt siedend heiß wieder einfiel. Dieser hatte ihr übel genommen, dass sie, anstatt die Stunden im Gebet zu verbringen, am heiligen, dem Glauben geweihten Sonntag eine Schrift über das Wissen aufgesetzt hatte. Aber darum ging es hier nicht. Ezra hatte dem Kaiser nur mitteilen wollen, dass alles zur rechten Zeit geschehe.
    Und da dämmerte es ihr: Der Frankenherrscher hatte sich höchstselbst angesprochen gefühlt; den Satz so verstanden, als hätten die Baumeister selbstherrlich beschlossen, ihren Auftraggeber erst jetzt über ihre Vorgehensweise in Kenntnis zu setzen. Das wäre in der Tat eine Ungeheuerlichkeit gewesen. Ein Missverständnis hat mein Schicksal besiegelt. Sie sank auf die Knie und brach in Tränen aus.
    Lucas sah bestürzt zu ihr hin. Was war in seine gerade eben noch so beherzte Frau gefahren? Ezras kecke Antwort hatte auch ihn den Atem anhalten lassen. Niemand durfte sich anmaßen, dem Kaiser Wissen vorzuenthalten, schon gar nicht Menschen, die in seinem Dienst standen. Jeder, der solches tat, musste des Herrschers Zorn hervorrufen.
    Das weiß Ezra, dachte Lucas, sie hat diesen unverschämten Satz geschrieben, um von der gefährlichen Frage abzulenken und uns anderen größeres Ungemach zu ersparen. Es kann nur einen Grund geben, weshalb ihr der Mut plötzlich abhandengekommen und sie zusammengebrochen ist: Sie hat nicht aus Berechnung gehandelt, ist stattdessen wieder einmal einer ihrer seltsamen Eingebungen gefolgt und darob selbst erschrocken. Es brach ihm das Herz, Ezra so verzweifelt am Boden knien zu sehen. Er musste ihr zu Hilfe eilen.
    »Es ist die Schuld seines Vater, Herr Kaiser!«, brachte er das Erste hervor, das ihm in den Sinn kam. »Meister Iosefos hat es ihm eingegeben!«
    » Was hat er ihm eingegeben?« fragte Karl.
    »Alles«, antwortete Lucas tonlos.
    »Iosefos aus Konstantinopel ist tot«, sagte Karl hart.
    Ezras Schluchzen brach ab. Es war sehr still im Raum geworden. Alle Häupter hatten sich gesenkt. Schließlich wagte es Ezra, unter ihren wirren Zotteln vorsichtig nach oben zu schauen. Ungläubig registrierte sie den Hauch von Belustigung in des Kaisers Augen, jenen für die anderen sicherlich unmerklichen Blick, der schon zweimal zuvor seine verschlüsselten Anspielungen auf ihre Weiblichkeit begleitet hatte. Mit einer ungeduldigen Handbewegung gab er ihr zu verstehen, dass sie sich zu erheben habe. Benommen leistete sie Folge und sah zu den anderen hin. Alle schienen sich unbehaglich zu fühlen, aber keiner zeigte jene Bestürzung, die eine Aufdeckung ihres wirklichen Wesens zweifelsohne hervorgerufen hätte. Vielleicht hatte auch sie etwas missverstanden. Die ständig lauernde Angst vor Entdeckung und ihre immer noch fehlerhafte Kenntnis des Fränkischen könnten ihre Wahrnehmung beeinträchtigt haben.
    »Meister Iosefos war ein großer Mann«, brach der Kaiser das ungemütliche Schweigen, ohne seinen Blick von Ezra zu nehmen. »Sein

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