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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Lasten des gegenüberliegenden Teils der entstehenden Kuppel in die schon fest gefügten Mauern des Oktogons zu führen. Dieses Bündel von Balken wollten sie durch Querstreben zu einem Fachwerk versteifen, wie Ezra es in Prüm gesehen hatte. Ein Gebilde, das allen Gewichten trotzen würde und doch so geschmeidig blieb, dass es jeglicher Erschütterung standhielt, gleich einem Baum, der sich im Winde wiegt und doch seine mächtige Krone oben behält.
    Wie schwierig es gewesen ist, meinen Vater für ein Lehrgerüst zu gewinnen, das nicht fest auf dem Boden verankert ist, dachte Lucas. Er behauptet, so etwas habe die Welt noch nie gesehen. Die Welt unserer Zeit vielleicht nicht, aber es ist durchaus denkbar, dass unsere Ahnen vor vierhundert Jahren ähnlich vorgegangen sind, jene zum Beispiel, welche die Kuppel von St. Gereon zu Köln gewölbt haben. Dieses verloren gegangene Wissen könnte Ezra von der gleichen göttlichen Macht offenbart worden sein, die ihr vor Jahren den Traum von ihrem Wüstenturm gesandt hatte. Zudem ist meiner geliebten Sarazenin der rettende Gedanke in einem Gotteshaus gekommen, und zwar dort, wo der christliche Gott zu Hause ist. Ist damit nicht der Beweis erbracht worden, dass sich der eine, der einzige Gott auch Menschen eines anderen Glaubens offenbart, so fremdartig mir dieser auch erscheint? Lucas gab sich einen Ruck. Jetzt war nicht die Zeit, sich Gedanken über Ezras Religion zu machen. Er musste wachsam bleiben, um seinem immer noch zweifelnden Vater zur Not ins Wort zu fallen. Zu seiner Erleichterung schienen dem Kaiser die Ausführungen über das Lehrgerüst zu genügen, da er bei der Frage angelangt war, womit die Steine später bedeckt werden sollten.
    »Estrich«, antwortete Odo, »auf dem wir Bleiplatten verlegen werden, alles genau nach dem Vorbild der Hagia Sophia in Konstantinopel.«
    Doch des Kaisers Zweifel waren noch nicht ausgeräumt, wie seine nächste Frage deutlich machte: »So ein mageres Holzdach wird also die weite Wölbung aus schweren Steinen aushalten können? Die nach Entfernung von Baumstämmen und hässlichen Stützen fest gemauert oben bleiben werden?«
    »Gewiss, mein Kaiser«, flüsterte Odo. Vor seinem geistigen Auge sah er die Kuppel bröckeln und die Steine auf die Schar der Gläubigen im Oktogon herniederprasseln. Den Kaiser würden sie nicht erschlagen, da dieser auf seinem Thron in der oberen Loge unversehrt bleiben und Zeuge des schrecklichen Unheils werden würde, das sieben Jahre zuvor mit der Ankunft des Iosefos in Aachen begonnen hatte. Odo wagte nicht, sich zu räuspern, und setzte krächzend hinzu: »Das Dach der capella wird bis in alle Ewigkeit halten.«
    »Deine Stimme klingt eher beschwörend als von Überzeugung getragen«, bemerkte der Kaiser mit leichter Schärfe. »Stehst du mir mit deinem guten Namen dafür ein, dass das hölzerne Zeltdach die Last der Steine tragen kann?« Karl strich sich über den Schnurrbart, lächelte fein und fragte freundlich: »Oder zögest du es vor, Odo von Metz, diese abenteuerliche Methode an einem Bau kleineren Maßstabes erst einmal in Ruhe zu erproben?«
    Ezra und Lucas warfen einander einen Blick zu und hielten den Atem an. Hatte Odo die Fangfrage als solche erkannt? Oder würde er sie für ein tatsächliches Angebot halten und darauf eingehen?
    Odo zögerte. Ezra sah das winzige Leuchten, das sich in seine Augen hineinschlich. Bei allem Respekt vor dem erfahrenen Baumeister musste sie Lucas recht geben: Sein Vater vermochte die Zeichen der Zeit und vor allem die des Kaisers nicht mehr zu lesen. Das Alter hatte Odo gleichzeitig ängstlicher und gutgläubiger werden lassen.
    Hastig hob Ezra den Arm.
    »Architectulus?«
    Sie schüttelte den Kopf, dass die Zotteln flogen, hielt einen Zeigefinger in die Höhe, stieß mit dem anderen dreimal Richtung Boden und führte in einer verräterisch anmutigen Bewegung dann beide Hände über ihrem Kopf zu einer Luftkuppel zusammen.
    Karl lachte.
    »Solcherart lasse ich mich gern überzeugen. Die Kuppel wird also ohne weiteren Verzug hier und jetzt gebaut und spätestens in einem Jahr geschlossen sein?«
    Das Glimmen in Odos Augen erlosch. Vier Köpfe nickten.
    »Genau das wollte ich hören, meine Freunde«, sagte Karl, »sputet euch und nehmt die Arbeit endlich auf. Meine Geduld ist am Ende. Ich habe lange genug gewartet.«
    Einhard blieb stehen, während sich Odo, Lucas und Ezra leichten Herzens auf die Tür zubewegten. Sie hatten mit erheblich mehr Skepsis gerechnet

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