Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
seinem Dienst entlassen würde, gleichfalls in Hosen zu stecken, um es in einem Leben heranwachsen zu lassen, das ihr vertraut war und in dem sie, Ezra, sich erheblich besser auskannte als in der Welt weiblicher Wesen. Wenn ihr Kind selbst bestimmen sollte, anstatt bestimmt zu werden, durfte es kein Mädchen sein, dachte sie und überlegte gleich darauf, wie wenig sie auch als Mann über ihr Leben selbst bestimmte. Wie unglücklich sie sich in ihrer Verkleidung jetzt fühlte. Aber in Hosen hatte sie Fähigkeiten entwickeln können, die über die Bewältigung des Alltags hinausgingen. War es recht, ihrer Tochter diese Möglichkeit zu versagen? Ezra erschrak vor ihren Gedanken. Sie durfte sich nicht über Allahs Willen hinwegsetzen! Der Barmherzige hatte ihr eine Tochter geschenkt. Er würde ihr zürnen, wenn sie diese so widernatürlich aufwachsen ließe wie ihr Vater, der wohl nie im Koran gelesen hatte, bei ihr verfahren war.
Sie mühte sich, ihre Zweifel für sich zu behalten, und verdrängte die Sehnsucht nach einem unbeschwerten Leben mit Lucas und ihrer Tochter. Sie war zurzeit ungnädig genug mit ihrem Mann, da durfte sie ihn nicht auch noch mit ihren Sorgen belasten. Ihn plagten seine eigenen: Odo wurde zusehends gebrechlicher und vergesslicher, was Lucas vor allen anderen zu verheimlichen suchte. Er übernahm den Großteil von Odos Arbeit, dabei ständig bemüht, dies den Vater und die anderen nicht merken zu lassen. Das kostete ihn viel Kraft, machte auch ihn sehr empfindlich und ließ ihn über Kleinigkeiten, die nichts mit der Arbeit zu tun hatten, gereizt werden. Immer häufiger vergingen die kostbaren Stunden der Nacht im Streit. Die Versöhnung erfolgte nur selten in derselben Nacht – Ezra fürchtete eine erneute Schwangerschaft – , sondern zumeist am folgenden Tag auf der Baustelle, wenn es ihnen gelang, gemeinsam einer Widrigkeit die Stirn zu bieten und ein Problem zu lösen.
Währenddessen war die kleine Dunja bei Maria gut aufgehoben. Der plötzliche Zuwachs im Haushalt des Schmiedes fiel angesichts der großen Kinderschar nicht weiter auf, zumal es sich ja ohnehin nur um ein Mädchen handelte. Ihrem Mann hatte Maria eine Variante der Wahrheit aufgetischt: Dunja sei die Tochter von Lucas, dies aber müsse vor allen anderen geheim bleiben, vor allem vor Meister Odo. Dieser würde die Mutter des Kindes nicht gutheißen und darob möglicherweise seinen eigenen Sohn verstoßen. Die Mutter selbst sei derzeit außerstande, für ihr Kind zu sorgen, weshalb Lucas seine kleine Dunja vorerst einer Frau in seiner Nähe anvertraut habe. So kam es, dass sich Marias Traum, zur Amme erwählt zu werden, doch noch erfüllt hatte, wenngleich als die eines Kindes, dessen Mutter als Mann am Hof beschäftigt war.
Diese Mutter sog jetzt voller Sehnsucht den Geruch ihres Kindes in sich auf. Sie ließ sich auf dem Lager neben der Feuerstelle nieder und löste den straffen Verband, in den Maria Dunja eingewickelt hatte, damit ihre Glieder gerade wachsen würden, ein Rat, den Maria von der Amme erhalten hatte, die den kleinen Drogo von Regina aus des Kaisers Frauenhaus stillte.
»Unsere Dunja wird gewiss das erste Jahr überleben«, sagte Maria fröhlich. »Wie alle meine Kinder. Sie haben das Glück, im Wohlstand aufzuwachsen. Anders als in Prüm. Ach, wenn ich da an meine Schwester Magda denke … «
Ezra hörte kaum zu; sie strich über die weiche, von Bandagen befreite Haut ihrer Tochter und wollte vor Glück beinahe vergehen. »… da waren nur noch Knochen übrig.«
Ezra sah ratlos zu Maria hin.
»Das Hausschwein«, sagte Maria eindringlich. »Es hat ihren kleinen Sohn einfach aufgefressen. Weil keiner Zeit hatte, ihn zu beaufsichtigen.« Sie nickte zu ihrer Magd hin, die gerade eines ihrer Kinder ankleidete. »Da haben wir es doch entschieden besser. Uns kommt kein Schwein in die Hütte.«
Die Tür flog auf. Überrascht sahen die beiden Frauen zu Alboin hin. Er war gänzlich außer Atem. Befremdet blickte er den Architectulus an, der mit Dunja auf seinem Ehebett lag.
»Wenn du so gern ein Kind im Arm hältst, solltest du dir schleunigst selbst ein Weib suchen, Architectulus«, empfahl er. Und dann sprudelte es aus ihm hervor. Der Rothaarige sprach so schnell, dass Ezra vermeinte, sich verhört zu haben. Elefant , dachte sie; was redet er da? Wo sollte ein Elefant in Aachen herkommen? Alboin stand schon wieder in der Tür und machte große Gesten.
»Also nimm nachher die älteren Kinder mit«, sagte er zu
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