Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
mit dem Kämmerer erforderlich, der über einen plötzlich aufgetauchten arabischen Golddenar gewiss kein Stillschweigen bewahren würde.
    Isaaks Beharrlichkeit wurde ein Vierteljahr später, im Hochsommer, endlich belohnt.
    »Diesmal habe ich ein Rätsel für dich«, begrüßte der Seneschall den Fernhändler und lud ihn in sein neues persönliches Gemach in einem der Fachwerkhäuser auf dem Pfalzgelände ein. »Zeilen sind darauf geschrieben, aber die Grundlage besteht weder aus Pergament noch aus Wachs oder Ton.«
    Er reichte Isaak einen Becher Bier. Der schickte dankbar einen langen Schluck die ausgedörrte Kehle hinunter. In diesem Sommer herrschte in Aachen eine solche Hitze, wie er sie sonst nur aus der Wüstenstadt Bagdad kannte.
    »Sand?«, schlug er vor.
    Der Seneschall sah ihn erst ratlos an, lachte dann und bemerkte: »Du denkst an die Zeichnung des Architectulus? Nein, nein, diese Zeilen kann der Wind nicht verwehen, sie sind unauslöschlich und stehen auf Material, dünner als Pastetenteig. Jedoch kann es längst nicht so leicht einreißen wie dieser, auch wenn es weniger zäh ist als Pergament.«
    Isaak überlegte einen Augenblick und fragte dann ungläubig: »Sprichst du etwa von Papier?«
    Der Seneschall hob die Schultern. »Davon habe ich noch nie etwas gehört«, sagte er, öffnete einen Holzkasten und zog einen kleinen beschrifteten Bogen hervor. Er war an manchen Stellen eingerissen und ziemlich verschmutzt.
    »Du bist viel herumgekommen, Jude. Vielleicht kannst du mir sagen, woraus das Material besteht und was diese seltsamen Zeichen bedeuten. Es sind keine Runen, aber sie sehen auch heidnisch aus. Morgenländisch vielleicht?«
    »Woher hast du das?«, fragte Isaak heiser. Iosefos hatte in seiner Aufzählung des geraubten Gutes offenbar etwas ausgelassen. Diese Seite war aus einem arabischen Koran herausgerissen worden, aus einem Buch, das erst vor sehr Kurzem beschrieben worden sein konnte und möglicherweise Ezra gehörte. Isaak war nicht entgangen, dass sie sich auf der Reise gelegentlich davongeschlichen hatte, bemerkenswerterweise immer zu den islamischen Gebetszeiten. Dass sie in Aachen regelmäßig die christliche Messe besuchte, wie er erfahren hatte, war kein Widerspruch. Nur dabei konnte das seltsame Geschöpf einen der köstlichen Düfte seiner Heimat einatmen, den Weihrauch, den er selbst aus dem Oman eingeführt hatte und der vor allen anderen Gerüchen die Luft Bagdads bestimmte. In der christlichen Kirche stillte Ezra ihr Heimweh.
    »Ich habe es von einer Frau, die im Handwerkerdorf ihren Körper feilgeboten hat«, antwortete der Seneschall. »Jetzt ist sie hochschwanger und kann nicht mehr arbeiten. Ich habe ihr für diesen Fetzen Brot, Speck und Käse gegeben. Sag schon, war das zu viel? Was ist das?«
    »Hanfpapier«, sagte Isaak, »für einen Silberdenar nehme ich es dir ab.«
    »Drei«, sagte der Seneschall prompt. »Drei Silberdenare.«
    »Dann lass es mich erst genauer betrachten«, sagte Isaak ausweichend und griff nach dem Papier.
    Er nahm sich zum Studium des Geschriebenen so viel Zeit, wie ein Kessel Wasser zum Kochen brauchte. Kein Golddenar, dachte er, wieder einmal ist es eine Schrift, die den Lauf der Dinge ändern und bessern kann. Harun ist wohlberaten, sein Haus der Weisheit einzurichten! Jetzt, da sich die Räder der Papiermühlen in Bagdad endlich so drehen, wie er es angeordnet hat.
    Während eine Region seines Hirns überlegte, wie er mittels dieses Papiers seine Mission würde erfüllen können, prägte sich einer anderen der vorliegende Teil der 38. Sure so gründlich ein, dass er ihn hinterher auswendig hätte hersagen können: Und wir festigten seine Königsherrschaft und gaben ihm die Weisheit und die Fähigkeit, Streitfälle zu entscheiden. Ist dir nicht die Geschichte von denen, die miteinander stritten, zu Ohren gekommen? Damals, als sie über die Mauer in das Gebetsgemach einstiegen! Und bei David eintraten. Da fürchtete er sich vor ihnen. Sie aber sagten: »Hab keine Angst! Wir sind zwei Prozessgegner, von denen der eine dem anderen Gewalt angetan hat. Entscheide nun zwischen uns nach der Wahrheit, lass dir keine Abweichung zuschulden kommen und führe uns auf den rechten Weg!«
    »Wenn du noch länger brauchst, verlange ich vier Silberdenare«, unterbrach der Seneschall Isaak in Lektüre und Betrachtung.
    Still lächelnd, las der Jude den letzten Satz auf der Seite: Diejenigen, die vom Wege Allahs abirren, haben dereinst eine schwere Strafe zu

Weitere Kostenlose Bücher