Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
seinen Kopf.
Warum nur habe ich Ezra nicht früher danach befragt! Er hat mir damals doch die Tafel mit diesem Wort hingehalten. Aber es hatte so viel anderes zu kommunizieren und zu regeln gegeben, als dass ein oströmischer Audienzsaal noch von irgendeiner Bedeutung gewesen wäre. Von welcher Bedeutung aber muss dieses Wort für Ezra gewesen sein, dass er es als Erstes bei seinem ersten Auftritt am Hof – nun ja – geäußert hatte!
Ich bin ein feiner Freund, schalt er sich. Kein Wunder, dass sich Ezra damals von mir abgewandt hat. Ich habe in ihm einen gleichaltrigen, verständigen Freund gesucht, einen, der mich und meine Arbeit begreift. Der mir neue Wege aufzeigt. Nie habe ich an seine Gefühle, seine Sehnsüchte, seine Wünsche gedacht; immer nur an mich selbst. Er hat wohl zu Recht geglaubt, dass ich ihn nur als Notnagel zum mühelosen Lernen und Wohlfühlen nutze. Kein Wunder, dass er Trost bei der Hure gesucht hat. Warum nur stellt diese schöne Frau jetzt nicht die Frage, aus welchem Material wir unsere Kuppel wölben wollen?
Xenia schwieg weiter.
»… sondern wir mauern sie aus Stein«, beendete er seinen Satz leise und ein wenig lustlos. Erstaunlicherweise langweilte es ihn, weiter über seine Arbeit zu sprechen; er wollte so viel lieber mehr über das geheimnisvolle Geschöpf an seiner Seite erfahren. Doch zu ungeübt im Umgang mit Frauen, wusste er nicht, wo er ansetzen sollte. Bei Adam und Eva?
Er zog einen Apfel aus der Obstschale, nahm das Messer vom Tisch, schnitt die Frucht in der Mitte durch und legte seiner Nachbarin eine Hälfte hin. Xenia schien mit ihren Gedanken sehr weit weg zu sein, und er fragte sich besorgt, ob er irgendetwas Falsches gesagt oder sie unwillentlich beleidigt haben könnte.
»Etwa aus einzelnen Steinen?«, fragte sie plötzlich. »Aber wie sollen die sich oben halten und euch nicht auf den Kopf fallen!«
Er lächelte, glücklich, dass sie ihm wieder ihre ganze Aufmerksamkeit schenkte.
»Wir zimmern vorher ein Lehrgerüst«, belehrte er sie. »Also eine Kuppel aus Holz, über der wir die Steine im Mörtel zueinanderfügen.«
»Aber wie wollt ihr die Kräfte auffangen, die seitlich nach unten drücken werden, wenn dieses Lehrgerüst später wieder abgebaut wird?«
»Mit einem Korsett aus Erz«, antwortete er. »Wir werden am Kuppelansatz mehrere Ringanker ins Mauerwerk einlassen, die alles zusammenhalten sollen. Das wird dann ungefähr so aussehen … «
»Warte«, sagte sie, als er es ihr mit seinem Soßenfinger veranschaulichen wollte. Sie griff zu ihrem Suppenlöffel und höhlte sorgsam die Apfelhälfte fast bis an den Schalenrand aus; eine Arbeit, bei der Lucas die Geschicklichkeit der langen schlanken Finger mit den verblüffend kurzen und nicht ganz sauberen Nägeln ausführlich bewundern konnte. Sie löste das grüne Band von ihrem Gelenk, setzte die ausgehöhlte halbe Frucht vorsichtig auf den Rand ihres Bechers und fixierte das Gebilde mit der grünen Seidenkordel.
»So ähnlich«, sagte Lucas beeindruckt. »Und dieses Band werden sehr geschickte langobardische Schmiede herstellen.«
Ach, wie gern würde ich ein Band mit dir herstellen, seufzte er innerlich und berichtete von den neuartigen Rennöfen, denen die Langobarden größere Brocken jener Luppe entnehmen konnten, die später zu den Eisenstangen für die Ringanker verschmiedet werden sollte. »Weil der Mörtel aber langsam trocknen muss, werden wir der Kraft des Erzes allein zunächst noch nicht vertrauen können«, erklärte er und fragte unsicher: »Verstehst du, was ich meine?«
»Ich glaube schon«, sagte Xenia überraschend ernst. »Jede gute Verbindung braucht Zeit, um stabil zu werden und haltbar zu bleiben. Also können Mauerwerk und Eisen erst heiraten, wenn die Jahre den Mörtel gehärtet haben. Wie aber könnt ihr die Kuppel halten, bis die eisernen Ringanker ihre Aufgabe erfüllen können?«
Jetzt fehlten Lucas die Worte. Heiraten , hatte sie gesagt. Welch ein erregendes Wort! In seinem Kopf überschlugen sich weiterführende Gedanken über eine ganz andere gute Verbindung als die zwischen Mauerwerk und Eisen. Er griff zu seinem Becher und trank sehr langsam, um sich zu sammeln. Danach hielt er den Blick auf die Apfel-Kuppel geheftet. Er konnte immer noch nichts sagen. Was hatte er der schönen Frau aus Konstantinopel zu bieten? Außerdem kannte er ihren Vater nicht. Iosefos als dessen Stellvertreter würde ihn gewiss abweisen; sein eigener Vater an seinem Verstand zweifeln, ihn
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