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Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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da wäre!
    Schuldbewusst gestand sich Lucas ein, den stummen Knaben in den vergangenen Wochen zu Unrecht ignoriert zu haben. Die peinliche Begegnung im Armenviertel hatte sie einander entfremdet und Lucas vor Augen geführt, wie wenig er doch über diesen Gleichaltrigen wusste, mit dem er unter einem Dach wohnte und dem er als Verbündeten gegen manche Vorstellungen der alten Baumeister sehr zugetan gewesen war. Sicher, er hatte begriffen, dass nicht Ezra mit der Hure das Kind gezeugt hatte, aber offensichtlich kannte der Jüngling diese Frau, die den stummen Architectulus aus so glänzenden Augen angesehen, von ihm eine Nachricht erhofft und ihn einen Zauberer genannt hatte. Was hatte sie damit nur gemeint?
    Gegen einen Zauberer, der ihm verraten könnte, wohin Xenia entschwunden war, hätte Lucas jetzt nichts einzuwenden gehabt. Aber sehr weit her konnte es mit Ezras Magie nicht sein, sonst hätte er bestimmt ein Mittel gegen die Krankheit gefunden, die ihn an diesem Abend auf das Lager in seiner Schlafhöhle verbannt hatte.
    Es musste ein Fieber sein. Lucas entsann sich Ezras außergewöhnlichen Verhaltens der vergangenen Tage, seiner seltenen Anwesenheit auf der Baustelle, die er doch endlich wieder betreten durfte, seines hitzig geröteten Gesichts und seiner seltsam brennenden Augen. Augen, die denen Xenias verblüffend glichen. Was bei Basen und Vettern ja nicht unüblich war. Ezra, dachte Lucas erleichtert. Er war nicht auf Iosefos angewiesen; über dessen Sohn würde er künftig mit Xenia in Verbindung treten können!
    Eine weibliche Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Sie ist abgereist.«
    Lucas wandte sich um und blickte in das freundliche, von weißblondem Haar umrahmte Gesicht des Mädchens, das er als Ziehtochter des Königs kannte, von dem aber allenthalben auch gemunkelt wurde, sie teile als eine seiner Gespielinnen gelegentlich das Bett des Herrschers; Geschwätz, auf das der Sohn des Baumeisters wenig gab.
    »Abgereist!«, wiederholte er ungläubig. »Mitten in der Nacht?«
    Gerswind zuckte mit den Schultern.
    »Sie wollen wohl vor dem Schnee an der Küste sein«, sagte sie und verschwand im Getümmel.
    »Welcher Schnee? Mit wem ist sie abgereist? Das ergibt doch keinen Sinn!«, rief ihr Lucas hinterher. Er blickte sich verwirrt um und sah erneut Iosefos an, den das Schicksal seiner Nichte offenbar wenig berührte. Er schien ein zu einem Stein gewordenes Abbild seiner selbst geworden zu sein.
    Ich muss zu den Ställen, dachte Lucas, ich muss sie aufhalten, ich muss ihr etwas sagen. Sie kann doch nicht einfach ohne Abschied aus meinem Leben verschwinden! Wir haben uns noch so viel zu erzählen. Er schlug sich vor die Stirn. Nein, ich habe schon viel zu viel geredet! Und nur über meine Arbeit. Wie dumm von mir! Sie muss sich entsetzlich gelangweilt haben. Ich weiß nichts über sie. Wie unverzeihlich, ihr keine Fragen gestellt zu haben! Ist sie wirklich abgereist? Wird sie wiederkommen? Hat sie Gefallen an mir gefunden? Oder habe ich sie gar mit meinem Gerede vertrieben? Ich muss sie wiederfinden. Sein Blick fiel auf den Tisch, und sein Herz tat einen Satz. Xenia hatte ein Pfand hinterlassen.
    Rasch zog er das grüne Band von der Apfelkuppel, steckte es ein und hastete aus dem Saal.
    »Du hast beim König also nichts erreicht?«, fragte Dunja sanft, als Ezra die Tür zu ihrer Kammer aufstieß, sich aufs Bett warf und augenblicklich in Tränen ausbrach. Schon der schwere Schritt des Mädchens auf der Treppe hatte die Sklavin zu dieser Schlussfolgerung verleitet. »Dein Plan, Ezra, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich habe dir doch gesagt, dass du diese Frau nicht vor dem Galgen retten kannst. Schon gar nicht mit der Geschichte, die du dem König auftischen wolltest.«
    »Er hat sie mir geglaubt«, murmelte Ezra.
    »Was sagst du da? König Karl hat dir abgenommen, dass seine Leute Xenias Kammerfrau mit einer Diebin verwechselt und fälschlicherweise angeklagt und eingesperrt haben?«
    Ezra nickte, schluckte den Rest ihrer Tränen hinunter und trocknete sich das Gesicht an der Decke, die sich Dunja des Nachts mit ihrem Vater teilte.
    »Es war gut, dass Heda unserem Freund Isaak den Namen ihres Vaters verraten hat«, sagte sie. »König Karl kennt ihn. Er hat als Kind mit ihm gespielt.«
    »Der fränkische König hat als Kind mit dem Vater einer Hure gespielt? Was ist denn das für ein Umgang?«, fragte Dunja entgeistert. Sie war fassungslos über diesen weiteren Beweis eines barbarischen

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